Absolut WILD 3
heute alles um die Zirkusszenen von Die Rose und der Ring .
Als Mama aus dem Auto stieg, fing Boris an zu jammern.
»Keine Sorge, Kleiner«, sagte sie und öffnete den Transportkäfig. »Dich nehmen wir natürlich mit.«
Boris kletterte an Mama hoch, als wäre sie eine Kiefer irgendwo in der russischen Wildnis. Er sah inzwischen aus wie der größte Teddybär der Welt und hatte angefangen, zu Hause sein lädiertes Bein zu trainieren, indem er durch die Küche humpelte und versuchte, auf die Stühle zu steigen.
»Braucht Boris vielleicht eine Leine, Mama?«, fragte ich, als wir über die Wiese auf das Zirkuszelt zugingen. »Damit er nicht abhaut und verlorengeht.«
»Noch nicht, aber bald«, sagte Mama und tätschelte den kleinen Bären liebevoll.
»Wer hier am ehesten eine Leine braucht, ist Joe«, sagte Tori. »Der kommt uns wirklich abhanden, wenn wir nicht gut auf ihn aufpassen.«
Joe lief auf das Zirkuszelt zu, und seine Schultasche hüpfte auf seinem Rücken auf und ab, während er über die Kabel sprang, die sich wie Lakritzschnecken überall im Gras ringelten. Wir folgten ihm in einem gemächlicheren Tempo und betraten wenig später das Zelt.
Die Manege war ziemlich groß und hell erleuchtet. Für das Licht sorgten alte viktorianische Gaslampen und gleißende moderne Filmscheinwerfer. Die technische Ausrüstung und die Kameras beanspruchten die Hälfte der Fläche, aber die Szenen wurden natürlich so gedreht, dass es hinterher im Film so aussah, als würde die Show in dem ganzen Rund stattfinden und nicht nur auf einer Seite der Manege.
Die Kulisse war fantastisch. Es war wirklich auf jedes Detail geachtet worden: Die Treppen zwischen den Sitzreihen waren mit altmodischen Blumenkörben geschmückt, die Statisten im Zuschauerraum trugen tolle Federhüte in allen möglichen Farben und dicke viktorianische Mäntel, und an den Zeltwänden hingen alte Reklametafeln, die für Produkte wie »Eliots Einreibemittel« oder »Pears’ transparente Seife« warben.
Ich sah ein umwerfendes Kleid, das ich sofort haben wollte – direkt in der ersten Reihe, ganz in unserer Nähe, getragen von einem Mädchen, das ungefähr in meinem Alter war. Wieso konnte sie in einem rosa Samtkleid bei einem Film mitmachen, und ich musste mich in der Schule mit Algebra abplagen?
Dann entdeckten wir Biro und seine Cousins am Rand der mit Sägemehl eingestreuten Manege. Sie standen bei einem großen Mann mit einem markanten Gesicht und einem Lachen, das die Zeltwände zum Beben brachte. Nach ihren bewundernden Blicken und der Art zu urteilen, wie sie stolz die Brust herausstreckten, musste es sich um den berühmten kurdischen Schauspieler Mirza Khan handeln.
»Biro steht die Rolle richtig gut, findet ihr nicht auch?«, sagte Tori.
Biro sah super aus in seinem wehenden weißen Hemd. Er trug ein rotes Halstuch, hatte Dreck an den Wangen und ein Funkeln in den Augen, das uns verriet, wie viel Spaß er an den Dreharbeiten hatte. Er hatte meiner Meinung nach schon immer Ähnlichkeit mit einem Pferd gehabt, aber heute hatte er außerdem etwas von dem Temperament eines feurigen Pferdes an sich.
Der zuständige Tierarzt untersuchte inzwischen unter Onkel Ardalans wachsamem Auge die kurdischen Pferde. Was das Wohlergehen von Tieren am Set betraf, durften Filmproduzenten kein Risiko eingehen.
Es war offensichtlich gerade Pause: Die Atmosphäre war entspannt, und die viktorianisch kostümierten Statisten tippten auf ihren Handys herum. Das Mädchen mit dem rosa Kleid hatte die Nase in ein Buch mit einem glänzenden blauen Einband gesteckt, das ich von der Schule kannte.
Ich nutzte die Gelegenheit, um mich mit einer richtigen Filmschauspielerin zu unterhalten. »Hi!«, sagte ich. »Ganz schön schwieriges Buch, das da.«
Sie sah zu mir auf und lächelte. »Findest du? Ich muss es lesen und dann einen Aufsatz darüber schreiben.«
»Ich lese es auch gerade!«, sagte ich überrascht. »Wir schreiben nächste Woche einen Aufsatz darüber. Dann musst du also deine Schularbeiten hier erledigen, ja?«
Das Mädchen lachte. Ihre altmodischen Ringellocken – die total fantastisch waren – hüpften wie Sprungfedern auf ihren Schultern auf und ab. »Ich habe jeden Tag am Set drei Stunden Unterricht, in einem von den Wohnwagen da hinten«, erklärte sie. »Heute Morgen war Algebra dran.«
Als ich das hörte, ging es mir gleich viel besser. »Ich bin Taya«, sagte ich. »Mein Vater hat die Pferde organisiert, und ein Freund von uns ist bei den
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