Absolut WILD - Die Mini-Tiger sind los
und den Tigern an ihm vorbei zur Hintertür liefen. Hasi allerdings schon. Sie rappelte sich aus ihrem Korb auf und folgte uns in den Garten.
Mama war im Gemüsebeet und jätete Unkraut wie eine Wahnsinnige. Seit Papas schrecklicher Ansprache tat sie fast nichts anderes mehr. Wenn sie mal Pause machte, fuhr sie zu ihrer Agentur, um nach Modeljobs zu fragen, und kam dann noch schlechter gelaunt nach Hause, als sie es vorher schon gewesen war.
»Hat euer Vater inzwischen Arbeit gefunden?«, fragte Joe leise, während wir für Hasi und die Tiger Stöckchen warfen.
»Er hat angefangen, als Schulfotograf zu arbeiten«, sagte Tori, »allerdings reicht das nicht.«
Ich holte tief Luft. »In den Ferien ist alles noch schlimmer geworden«, sagte ich. »Die Tiger werden uns am Mittwoch verlassen.«
Joe fiel die Kinnlade herunter. »Was?«
» Wild World holt sie ab und besorgt ihnen eine neue Pflegestelle«, erklärte Tori. »Mama muss jetzt auch arbeiten gehen.«
»Das ist ja furchtbar!«, sagte Joe entsetzt. »Bekommt sie jetzt dieser Terry Tanner?«
Mir wurde schon schlecht, wenn ich den Namen hörte. »Das wissen wir nicht«, sagte ich mit belegter Stimme und mir stiegen die Tränen in die Augen. »Das Einzige, was uns jetzt noch helfen könnte, wäre ein Zauberstab, aber wir haben keinen.«
Es kam mir alles total unwirklich vor. Ich versuchte mich damit zu trösten, dass wir die Küche renovieren und einen neuen Teppich kaufen konnten, wenn die Tiger weg waren, aber es nützte nichts. Ich hatte das Gefühl, als würde mir jemand ganz langsam das Herz aus der Brust pulen, Stückchen für Stückchen. In manchen Momenten wünschte ich, es würde mir einfach herausgerissen, und die Tiger wären weg, und alles wäre vorbei. In anderen wiederum war ich krank vor Kummer darüber, dass wir sie verlieren würden. Es fühlte sich so an, als wenn einem Sand durch die Finger rinnt und egal, wie fest man sie zusammendrückt, noch Körnchen durchrieseln.
Pommes machte auf der Jagd nach einem Stock, den Joe geworfen hatte, einen fantastischen Hechtsprung. Leider landete er mitten im Gemüsebeet, woraufhin sich Mama in einen gewaltigen mit den Armen rudernden, auf Portugiesisch brüllenden Tornado verwandelte. Die Tiger rannten mit großen Sätzen davon, und ihr prächtiges schwarz-golden gestreiftes Fell glänzte in der schräg stehenden Sonne.
»Ihr solltet die Tiger auf YouTube stellen«, sagte Joe. »Ich gucke mir da ständig die tollsten Tierclips an.«
Mir stockte der Atem, und mit einem Mal lief alles in Zeitlupe ab. Joes Schulhose war zu kurz für seine langen Beine, und ihre Schläge flatterten ein gutes Stück über seinen riesigen schwarzen Sportschuhen. Der Anblick erinnerte mich an Segel an den dünnen Masten einer Jacht. Aber irgendwie war er für mich plötzlich der coolste Mensch im ganzen Universum.
»Die Tiger als Filmtiere«, hauchte ich. »Joe Morton, du bist ein Genie!«
Joe sah mich verblüfft an. »Echt jetzt?«
Ich rannte wie der Blitz in die Küche.
»Papa, können wir uns eine von deinen Kameras ausleihen?«, stieß ich atemlos hervor. »Eine mit Videofunktion?«
Papa sah vom Tisch auf. »Wozu?«
Draußen ging das Licht allmählich weg, und wir hatten nicht mehr viel Zeit. Doch so viel wusste ich: Ein Film von den Tigern im Sonnenuntergang würde wahnsinnig toll aussehen, besonders, wenn ich auch noch den glitzernden Gartenteich einfangen konnte.
»Schnell!«, keuchte ich.
Von meiner Aufregung angesteckt sprang Papa auf. »Nimm eine aus der zweiten Schublade meines Schreibtischs!«, rief er mir nach, und im selben Moment war ich auch schon aus der Küche. Joe und Tori folgten mir wie Peter Pans Schatten.
»Zweite Schublade, zweite Schublade …«, murmelte ich auf dem Weg zu Papas Schreibtisch vor mich hin.
Er war voll von alten Filmrollen, ordentlich abgehefteten Negativen, Linsen, Stativen, CD - ROM s und Umschlägen, und überall klebten kleine gelbe Haftzettel. Ich griff tief in die zweite Schublade und holte vorsichtig eine Kamera heraus. Dann hielt ich sie hoch und hoffte, dass ich ein bisschen so aussah wie die Freiheitsstatue.
»Unsere Zukunft!«, sagte ich feierlich.
»Du hast ein Post-it am Hintern«, erwiderte Tori, aber das überhörte ich.
»Das Licht ist jeden Moment weg«, sagte ich und prüfte, ob der Akku der Kamera geladen war. Dann fegte ich an Joe und Tori vorbei, die an der Tür stehen geblieben waren. »Die Tiger hatten heute noch keinen Nachmittagssnack, oder? Hol
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