Absolut WILD - Die Mini-Tiger sind los
Die Tiger tappten auf ihren großen Pfoten die Wendeltreppe hinunter, dann die Treppe zur Küche. Hasi sah schwanzwedelnd auf und sprang aus ihrem Korb. Als ich die Hintertür öffnete, kam mir ein eiskalter Luftstrom entgegen, und ich bekam eine Gänsehaut auf Armen und Beinen.
Der Mond war so hell, dass ich gut beobachten konnte, wie Hasi und die Tiger über die Wiese trotteten und sich Stellen suchten, wo sie graben und ihr Geschäft verrichten konnten. Tiger sind nachtaktiv und lieben die Gerüche und Geräusche der Nacht. Ich lehnte mich gegen den Türrahmen, zog meinen Bademantel fest zu und wartete. Als die drei wieder hereinkamen, sprangen die Tiger in Hasis Korb. Hasi ging zu dem Teppich neben dem Ofen. Er sah ziemlich bequem aus, und so legte ich mich zu Hasi und kuschelte mich an sie. Dann sah ich noch zu, wie die Tiger es sich gemütlich machten, und schloss auch die Augen.
Als ich morgens wach wurde, hatte ich Nackenschmerzen. Die Tiger lagen auf meinen Beinen, die sich völlig taub anfühlten.
Mama stand vor mir. Sie hatte ihre Hände, an denen zahllose Armreifen klimperten, in die Hüften gestemmt und schaute zu mir herunter. »Papa hat gesagt, dass du hier bist«, sagte sie. »Ich dachte, es wäre ein Witz. Hast du etwa die Nacht auf Hasis Teppich verbracht?«
Ich setzte mich auf, so gut es mit meinen tauben Beinen ging. Die Tiger schnurrten mich an und schnupperten in der Küche herum. Dabei streiften sie die Ecken der Schränke mit ihren Schwänzen, um unser Zuhause als ihr Zuhause zu markieren. Mir tat alles weh, vor allem mein Herz. Und als ich mich wieder daran erinnerte, warum dieser Tag gleich doppelt schrecklich war, wäre ich am liebsten sofort wieder eingeschlafen. Nicht genug damit, dass uns die Tiger verließen – ich musste mich außerdem Cazza stellen, und es würde alles herauskommen: dass die Tiger nicht ins Fernsehen kamen und ich im Grunde eine erbärmliche Lügnerin war.
»Mir ist schlecht«, sagte ich leise.
»Nach dem Frühstück geht es dir besser«, entgegnete Mama.
Wenn ich nur an Essen dachte, kam es mir hoch. Aber Mama nahm mich bei den Schultern und führte mich zum Tisch, auf dem schon alles bereitstand: Müsli, Butter, Marmelade, eine Schale mit Orangen und eine Kanne Kaffee. Sogar Schokostreusel waren dabei, die wir uns eigentlich nur an ganz besonderen Tagen aufs Toastbrot streuen durften.
Tori kam gähnend in die Küche. Sie schlurfte an ihren Platz und machte sich schweigend ein Müsli. Sie sah weder mich an noch Mama, ja nicht einmal Hasi, aber ich merkte, wie ihr Blick eine Millisekunde lang an den Tigern hängen blieb.
»Euer Papa hat gestern spätabends noch einen Anruf bekommen«, sagte Mama, steckte zwei Scheiben Toast in den Toaster und drückte die Taste nach unten.
»Noch mehr schlechte Nachrichten?«, wollte ich wissen, während ich mit dem Messer in der Marmelade herumstocherte und überlegte, ob das Toastbrot in meinem Mund zu Staub werden würde. »Wo ist Papa überhaupt?«
»Nach London gefahren«, antwortete Mama. »Er hat eine wichtige Besprechung mit den Leuten von Double-Take .«
Ich rieb mir den Schlaf aus den Augen und fragte mich, ob ich Mama sämtliche Würmer einzeln aus der Nase ziehen musste.
»Was ist Double-Take ?«, wollte Tori wissen.
»Ein Shampoo«, sagte ich. Es war eine ziemlich bekannte Marke, aber mit solchen Dingen kannte sich Tori einfach nicht aus. Ich konnte mir nicht erklären, was Papa mit dieser Firma zu tun hatte. Es war ja nun wirklich nicht so, als wäre er ein großer Fan von Haarpflegeprodukten.
»Geht es vielleicht um einen Job?«, fragte Tori stirnrunzelnd.
»Um einen Job für Pommes und Mayo!«, erklärte Mama gut gelaunt. »Jemand von Mungos Firma hat der Werbeabteilung von Double-Take die Fotos gezeigt, die euer Vater gemacht hat. Sie wollen die Tiger für ihren neuen TV -Werbespot haben. Der Papierkram ist schon erledigt. Die Tierärzte haben keine Einwände. Stellt euch vor, wir können alle unsere Tiere behalten! Und Wild World wird seinen Teil der Einnahmen in die Tigerforschung investieren und in ein neues Tigerschutzprojekt in Indien. Terry Tanner kann seinen Anwälten so viel zahlen, wie er will, aber gegen Wild World hat er keine Chance!«
Tori verschluckte sich an ihrem Müsli. Ich wurde kreidebleich.
»Das Drehbuch bekommen wir nächste Woche«, fuhr Mama fort. Sie sprudelte geradezu über vor Freude. »Es ist wahr! Wirklich. Die Tiger bleiben bei uns. Wir haben gewonnen, meine Süßen.
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