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Absolution - Roman

Absolution - Roman

Titel: Absolution - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deutsche Verlags-Anstalt
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das Jahr zu bezahlen. Die betrugen fünfzehn Dollar und selbst das erschien wie eine Zumutung, aber der Club war genau das, was er tun zu müssen glaubte, um Leute zu treffen. Als er sah, wie sie über das ganze Gesicht strahlte, dachte er, auch das sei ein Grund für den Beitritt. Sie hatte ebenmäßige Zähne und dickes hellbraunes Haar und an ihrem Aussehen war etwas Gesundes, unverkennbar Amerikanisches – als wäre sie jeden Morgen auf einer Farm aufgewacht und hätte ein Glas Milch getrunken, frisch von der Kuh, die ihr Vater gemolken hatte, und Pancakes gegessen, die ihre Mutter eigenhändig zubereitet hatte. Ihre Kleidung war makellos und knitterfrei. Später, als Sam erfuhr, dass sie keine Ahnung von Farmen hatte und dass ihr Vater nichts mit einer Kuh anzufangen wüsste, fragte sich Sam, wie ihre Kindheit wirklich ausgesehen hatte, wusste aber nicht, wie er sie das fragen sollte. Wenn er Sarah über ihre Kindheit ausfragte, würde er damit nur Fragen über seine eigene provozieren.
    Wenn die Clubmitglieder sich nicht trafen, um hiesigen Dichtern zuzuhören oder um aus eigenen Werken vorzulesen, waren sie gewöhnlich in Bars auf der Bleecker Street oder versammelten sich in der Wohnung von irgendjemandem. Es war an einem jener Abende – im Haus einer somalischen Dichterin im Exil, die weit draußen in der Alphabet City wohnte und immer mit den Schlüsseln stoßbereit zwischen den Fingern der linken Hand und einsatzbereitem Pfefferspray in der rechten herumlief –, dass Sam zum ersten Mal mit Sarah allein sein konnte. Er wusste, dass man sie in der journalistischen Fakultät für einen aufgehenden Stern hielt, dass sie ihren Masterstudiengang bald abschließen würde, dass sie bereits Artikel in führenden Zeitschriften veröffentlicht hatte und dass sie nicht in Universitätsnähe wohnte. Keiner im Club wusste, wo genau, da sie nie jemanden zu sich eingeladen hatte. Die beiden unterhielten sich über Sarahs Masterarbeit, deren Thema die Berichterstattung amerikanischer Medien während der Iran-Contra-Affäre war. Als sie sprach und dabei die Lippen nach innen zog und befeuchtete, tiefe, langsame Züge aus einer roten Plastiktasse nahm und sich ab und zu einen Kartoffelchip in den Mund steckte, stellte sich bei Sam das Gefühl ein, dass er sie brauchte. Ihm fiel auf, dass sie ihn seltsam an Laura erinnerte.
    »Mein Vater hat eine gewisse Zeit in Afrika verbracht«, sagte sie, »im Dienst des Auswärtigen Amtes. Er war in den 60er-Jahren im Kongo und in Rhodesien, auch in Südafrika – in den 70er- und 80er-Jahren. Ich glaube, er war eine ziemlich lange Zeit in Südafrika.«
    »Du hast ihn aber nie begleitet?«
    »Er hat immer gesagt, seine Einsatzorte seien zu gefährlich, deshalb sind Mom und ich immer in Virginia geblieben. Ich weiß nicht – vielleicht hätten wir mit ihm gehen können, aber ich glaube, er war zu sehr um unsere Sicherheit besorgt. Ihm gefiel es in Südafrika. Er sagte, es sei ein schönes Land. Ich kann mir nicht vorstellen, wie es gewesen sein muss, an einem so gefährlichen Ort aufzuwachsen.«
    Obwohl Schreckliches geschehen war, hatte Sam das Land als Ganzes nie für einen gefährlichen Ort gehalten, nicht gefährlicher jedenfalls als Amerika. Er versuchte Sarahs Gesichtsausdruck zu interpretieren. Sie wirkte wissbegierig und nachdenklich, aber es mochte auch nur das vom gläsernen Lampenschirm gebrochene Licht sein, das ihr Gesicht mit einem Schattenmuster überzog.
    Während ihrer Unterhaltung dachte Sam immer mehr an Laura, da er bei Sarah dieselbe kraftvolle Wissbegier entdeckte, aber auch eine physische Ähnlichkeit durch ihre muskulösen Glieder, die scharf geschnittenen Gesichtszüge und den helloliven Teint sowie die stets aktiven Augen, die, wenn sie nicht Sam musterten, ihre Umgebung aufnahmen, alles und alle um sie herum registrierend. Sam spürte, wenn sie etwas interessierte, wenn sie eine Story witterte, dann würde diese Frau nicht lockerlassen, bis sie eine Person ganz verstand, bis sie die Wahrheit aufdeckte.

SAM
    Wir wachen beim Lärmen der Vögel auf, eine Dschungelkakophonie, wie ich sie noch nie vorher erlebt habe, weder in Kapstadt noch in Beaufort West oder Grahamstown. Außer den Hagedaschen, die mir vertraut sind, gibt es etliche graue Turakos, die genauso prähistorisch aussehen wie der Ibis und einen Schrei ausstoßen, der einem das Blut in den Adern gefrieren lässt und sich anhört, als würde ein Baby erdrosselt.
    Sarah sprintet gleich als Erstes

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