Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Absolution - Roman

Absolution - Roman

Titel: Absolution - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deutsche Verlags-Anstalt
Vom Netzwerk:
Ellen wissen, was passiert war, bat ihn ein Dutzend Mal, ihr in allen Einzelheiten zu erzählen, wie es dazu gekommen war, dass er vor ihrer Tür stand. »Es gab eine Entführung. Und der Entführer brachte Bernard um, während ich mich versteckte. Und dann bin ich getrampt. Und die Letzten, die mich mitgenommen haben, hatten es eilig, deshalb haben sie mich am Ende der Straße abgesetzt und sind dann weitergefahren . « Das war die Geschichte, die er mit Timothy und Lionel einstudiert hatte, und nachdem Ellen sie oft genug gehört hatte, hörte sie mit dem Ausfragen auf, obwohl Sam durch die Art und Weise, wie sie ihm Blicke zuwarf und ihn aus den Augenwinkeln ansah, mitbekam, dass sie ihm eigentlich nicht glaubte.
    »Schon gut«, sagte sie. »Hier bist du jetzt sicher und wir können die Vergangenheit vergessen.«
    Falls sie die Polizei anrief, um die Entführung und Bernards Tod zu melden, erfuhr es Sam nicht. Ihm fiel ein, dass, in Gestalt von Bernards Uhr und Siegelring, Hinweise auf eine ganz andere Geschichte existierten, eine andere Erklärung, wie er zu ihr gekommen war. Ein Entführer hätte den Ring und die Uhr gestohlen. Sam bewahrte sie in einer zusammengerollten Socke auf, die er ganz hinten im untersten Schubfach der Kommode im Zimmer, das das seine wurde, versteckte. Jede Nacht schaute er nach, ob die Socke noch da war, genauso zusammengerollt, wie er sie seiner Erinnerung nach zusammengerollt hatte.
    »Es tut mir leid, dass ich dich nicht gleich zu mir geholt habe«, sagte Ellen, als er etliche Wochen bei ihr gewohnt hatte, doch es klang nicht danach, als ob es ihr leidtäte, ganz und gar nicht. Er hatte gehofft, dass sie wie seine Mutter sein würde oder sogar wie Laura, dass er sie umarmen dürfte, dass sie ihn ein wenig wie ihr eigenes Kind behandeln würde. Doch sie umarmte ihn nicht und sie verwöhnte ihn auch nicht, wenn er in langes Schweigen verfiel, aus dem Fenster starrte, im Garten herumsaß, auf der Couch lag und an die Decke sah. »Hör auf, herumzutrödeln«, sagte sie dann und hörte sich an wie die Lehrerin, die sie war. Sam erinnerte sich daran, dass seine Mutter über ihre Familie geklagt hatte, über Bernard und Ellen. »Wir müssen uns zusammenreißen und weitermachen«, sagte Ellen. »Du bist kein kleiner Junge mehr. Praktisch bist du ein Mann, selbst wenn du nicht so aussiehst. Fang etwas an mit dir. Lies ein Buch.«
    Die paar Bücher, die Sam noch in seinem Besitz hatte, waren bloß Kinderliteratur, wusste er. Er verstand, dass er kein Kind mehr war, oder nicht mehr so, wie er es einst gewesen war. Wenn er jetzt praktisch ein Mann war, war es an der Zeit, Bücher für Erwachsene zu lesen, entschied er. Am Ende des zentralen Korridors, der alle Zimmer des Hauses verband, gab es einen Bücherschrank mit vier Regalbrettern. Er fing mit dem untersten und seinem halben Dutzend Bänden Reader’s Digest Auswahlbücher an, las sie in Windeseile in einer Woche durch und fühlte sich danach, als hätte er sich an Kuchen überfressen. Als Nächstes kamen Bibeln in Englisch und Afrikaans, auch Gesangsbücher in beiden Sprachen, aber die ließ er links liegen. Dann folgten Krimis – Agatha Christie, Ngaio Marsh –, weniger kuchenähnlich als die Zusammenfassungen in den Auswahlbüchern, doch immer noch nicht sehr gehaltvoll.
    Als Ellen ihn in der Schule vor Ort anmeldete, hatte er weniger Zeit für seine eigene Lektüre und fing stattdessen an, sich hier und da Bücher aus dem Bücherschrank zu holen und sich anzueignen, was er konnte, ohne so recht mitzubekommen, dass es ihn bildete. Er las Schreiner und Millin, FitzPatrick und Bosman, Paton und Van der Post. Das waren alles Geschichten, die er ohne Verständnisprobleme lesen konnte: Die Geschichte war stets genau das, was sie zu sein behauptete. Er war bald mit dem Lesestoff, den der Bücherschrank zu bieten hatte, durch und dann, als der Herbst anbrach und die Tage kürzer wurden, entdeckte er eine andere Büchersammlung im Wohnzimmer, hinter Stapeln der Zeitschrift National Geographic versteckt. Warum waren diese Bücher versteckt?, wunderte er sich. Sie waren nicht so sorgfältig verborgen, wie seine Eltern es getan hatten, die manchmal die Einbände entfernt und durch Packpapier ersetzt und die Bücher dann in Plastikhüllen unter die Dielenbretter gelegt hatten. Ellens versteckte Bücher waren noch intakt, mit Einbänden und allen Seiten, aber sie waren dort verstaut worden, wo Besucher sie nie zu Gesicht bekamen. Sam begann mit

Weitere Kostenlose Bücher