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Absolution - Roman

Absolution - Roman

Titel: Absolution - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deutsche Verlags-Anstalt
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welchen Schaden er anrichtete? Natürlich hätte er es wissen sollen.
    Ob meine Schwester etwas getötet hat? Ich kann mich nicht erinnern. Sie hatte keine Neigung zu schießen. Es ist besser, sich meine Schwester nicht bewaffnet vorzustellen. Aber nachdem sie die abstoßende Erschießung des Pferdes meiner Cousine miterlebt hatte (wo war damals eigentlich meine Cousine? auch das weiß ich nicht mehr), legte sie Gewehre für immer nieder und, so könnte man sagen, wartete den rechten Moment ab, wartete darauf, dass das Gewehr zurückkam und sie fand, um auf ihre Zurückweisung zu antworten.«

CLARE
    Es gibt den Kampf zwischen dem, was ich weiß – was offiziell mitgeteilt wurde, was mir im letzten Brief von dir mitgeteilt wurde und in den Notizbüchern, die du geführt hast, Laura, ehe du ganz verschwunden bist –, und dem, was ich mir vorstelle. Ich taste mich zu der Stelle vor, wo die Linie zwischen dem Mitgeteilten und dem Vorgestellten liegen muss. Aber wie soll ich wissen, wann und wo ich im Geist jene Linie in die eine oder andere Richtung verschiebe, eine berichtete Tatsache als mögliche Einbildung hinterfrage, eine Fantasie mit der Verlässlichkeit der Tatsache ausstatte? Kannst du dir vorstellen, wie stark mein Verlangen ist, die Wahrheit von dir zu erfahren, die du sie nicht mehr sagen kannst oder aber dich weigerst, es zu tun?
    Keine Einwände mehr, kein Warten oder Aufschieben oder Zögern bei dem, was man wissen kann. Das muss und kann nur meine eigene Version von deinen letzten Tagen sein, herausgefiltert aus dem, was du bereit warst, mir zu erzählen, und dem, was ich nach dem offiziellen Bericht rekonstruieren kann. Notwendigerweise wird es andere Versionen geben, die vielleicht auf ihre Art vollständiger und weniger subjektiv sind – Versionen, die von den Ereignissen nicht so weit entfernt sind wie diese bruchstückhafte Erzählung voll Sehnen und Klagen, die alles ist, was ich zustande bringe.
    Zunächst war es still, ein Radio überbrückte die Gesprächslücke, eine Frau sang klagend eine Country-Ballade. Bernard schaute sich die Route auf der Landkarte an und Sam sank schlafend gegen deinen Arm, während sein warmer Atem in tiefen Zügen ging. Die Hitze des Jungenkörpers, hart und vertrauensvoll, streng riechend und ungewaschen, ließ dich unruhig auf dem Sitz umherrutschen. In seinen Haaren krabbelte ein kleines Insekt.
    Du sahst auf die Uhr. Es war nach drei Uhr früh und du wusstest, wie lange es her war, seit du aus den Bäumen herausgekommen, über den kaputten Zaun geklettert und zur Straße hinuntergerutscht warst. Du konntest nicht schlafen.
    Als du einen Monat früher aus dem alten Haus fortgingst, kann keiner von uns sich vorgestellt haben, dass es das letzte Mal sein würde, das letzte Zusammentreffen, der endgültige Abschied. Ich hätte beinah geschrieben: das endgültige Versagen , weil es zwischen uns so viele gegeben hat – Abschiede, die ein Versagen bedeuteten, Fehler, die auf eine abstrakte Weise auch Schritte immer weiter weg voneinander waren, sodass wir uns ständig verabschiedeten und es andererseits auf gebührende Weise zu tun versäumten. Ich kann nicht zählen, wie oft ich versagt habe und dir gegenüber weiter versage. Vielleicht kannst nur du das zählen.
    Erst vor wenigen Tagen hattest du dich, durch die seltsamen Fügungen des Zufalls , wie ich einmal geschrieben habe, in die Unausweichlichkeit – so musst du es gesehen haben – des Exils gefügt. Bei unserem letzten Zusammentreffen, als wir in meinem Garten saßen, dem schäbigen Landhausgarten des verfallenden alten Hauses in der Canigou Avenue (dem Garten, den ich mehr liebte als den, der mich jetzt mit seiner makellosen Schönheit einschüchtert), und meine selbst gezüchteten Roten Beten mit saurer Sahne und Paprika auf einem Teller bluteten, zeigte ich ein selbstgefälliges Grinsen, weil ich dich wieder einmal zerzaust sah. Du darfst mich gern dafür hassen, für meine Überheblichkeit, für noch so viel mehr. Du sollst wenigstens wissen, dass ich dich nie gehasst habe. Du hast gesagt: Das ist bloß die erste in einer neuen Runde von Begegnungen und wir werden uns weiter so begegnen, viele Jahre lang, bis eine von uns stirbt. Für eine Wiedervereinigung war es kein großartiger Anfang. Es war deine Entscheidung gewesen, mich wiederzusehen. Ich vermute, dass du schließlich in der Lage warst, mich zu ertragen – selbst zu meinen schrecklichen Bedingungen –, meine Überheblichkeit, meine ständige

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