Absolution - Roman
bis auf ein knappes grünes Trikot, ließ auf der Titelseite die Muskeln spielen. Bernards Schnarcher ließen die Seiten vibrieren und das grüne Trikot des Mannes und seine angespannten Muskeln bewegten sich wie in einem Zeichentrickfilm.
Der Junge ging in den Waschtrakt hinein und probierte die Wasserhähne am Waschbecken, aber es kam kein Wasser, deshalb ging er in die Duschen, und als er die Chromhebel drückte, lieferten sie nichts. Seit Jahren hatte keiner mehr hier gezeltet, weil es weder auf dem Weg zu irgendeinem schönen Ort lag, noch der Platz selbst schön war, wozu also? Wasser war nur in den Toiletten, aber das würde er nicht trinken. Halbtote Fliegen prallten vom Boden und von der Decke ab. Eine davon landete auf seinem Arm und er erwischte sie mit einem schnellen Schlag, Blut spritzte auf seine Haut.
Ihm fiel ein, dass sie an einer Tankstelle vorübergekommen waren, bevor sie anhielten, und dort würde es Wasser und was zu essen geben, aber dann fiel ihm ein, dass er kein Geld hatte. Was war mit dem Geld seiner Eltern geschehen? Bestimmt hatte es Bernard, weil er der Onkel und Vormund des Jungen war, weil der Junge der Alleinerbe seiner Eltern war, weil er zu jung und nicht vertrauenswürdig war, und dann begann er sich zu fragen, was wohl Bernard mit dem Geld gemacht hatte, das sein Geld war und nicht Bernards, um damit Bier zu kaufen oder den neuen Lkw, den er sich angeschafft hatte, nachdem der Junge zu ihm gekommen war. War der Lkw sein Erbe? Bernard hatte nie was von dem Geld gesagt, aber der Junge wusste, dass welches da gewesen sein musste, wenn auch nur wenig, aus dem Verkauf des Hauses, und Geld von der Versicherung seiner Eltern – er wusste, dass es eine Versicherung gab, er hatte seine Eltern darüber reden hören. Dieses ganze Geld war irgendwo hin.
Er lief los, fort vom Campingplatz zu den freien Flächen, und zog die Schuhe aus. In der Ferne ging eine Gruppe Männer in die andere Richtung, als wären sie halb betrunken oder erschöpft oder als wäre es ihnen einfach egal, wohin sie der Weg führte. Er wollte loslaufen und sich ihnen anschließen, wusste aber, dass das nicht ging. Die Männer konnten nichts tun, um ihm zu helfen.
Sein Vater war immer viel mit seiner Arbeit beschäftigt gewesen, wichtige Arbeit, die alle retten würde, und weil sie wichtig war, hatte der Junge ihm seine häufige Abwesenheit verziehen. Meist trug sein Vater Shorts, sogar an regnerischen Wintertagen, und er sagte, ein Haus enge ihn ein, daher schnappte er sich als Erstes seinen Sohn, nachdem er dessen Mutter geküsst hatte, und trug ihn ins Freie, streckte sich unter dem Feigenbaum im kleinen Garten hinterm Haus auf dem Rücken aus und legte sich den Jungen auf die Brust, entweder Bauch auf Bauch oder der Junge saß mit seinen kurzen Beinchen rittlings auf den Rippen des Vaters. Was hat mein Junge heute gemacht? Zuerst konnte der Junge nur lachen, aber als er älter wurde, sagte er dann: Ich habe gefrühstückt oder Ich habe gelesen oder Ich habe mit Sandra gespielt , dem Mädchen, das nebenan wohnte und gleich alt war. Als er noch älter war, erzählte er seinem Vater von den Büchern, die er gelesen hatte, und von seinen Freunden in der Schule und den Lehrern, und der Vater sagte dann: Du wirst zu groß, um auf mir zu liegen, du erstickst mich. Und der Junge machte sich so schwer er konnte und sein Vater keuchte und dann lachten beide. Nach zehn Minuten dieses Trostes, der die beste Medizin gegen Einsamkeit und ein wirksamer Balsam gegen kleine Verletzungen und seelische Wunden war, hob er dann den Jungen von seiner Brust, stellte ihn auf den Boden und führte ihn ins Haus zurück.
Am Rand des Feldes sitzend, sah der Junge zu, wie die Sonne allmählich sank und die Wolken über den Bergen sich rot färbten. Ihm war schwindlig und seine Augen juckten in den Höhlen und die Zunge fühlte sich pelzig und schwer an. Er stemmte sich hoch und ging wieder zum Campingplatz zurück, wo Bernard noch immer schlief, und er hätte ihm am liebsten einen Tritt verpasst. Er hatte zu schnarchen aufgehört, doch der Junge sah, dass er noch atmete, und das tat ihm leid, weil er nur wollte, dass Bernard verschwand. Wie schön wäre es, wenn er im Schlaf stürbe. Der Junge setzte sich eine Weile neben ihn, beobachtete, wie er atmete, und fragte sich, wie lange sie beide zusammenbleiben würden. Das war nicht das Leben, das seine Eltern ihm versprochen hatten. Das war das Leben, vor dem ihn die Versicherung eigentlich
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