Absolution - Roman
vergangenen Nacht nichts zu trinken gehabt.
Alle paar Minuten schaltete er die Scheinwerfer an, um sich zu versichern, dass Bernard tot war.
SAM
Wieder Wochenende. Greg hat frei, also beschließen wir, raus aus der Stadt zu fahren und ein Picknick zu machen. Er kennt einen Ort, eins der alten Weingüter zwischen Stellenbosch und Franschhoek, wo es Tische mit Blick auf die Berge gibt.
»Und sie haben Hühner«, sagt er. »Dylan guckt sich gern die Hühner an, stimmt’s, mein Junge?«
Die Fahrt aus der Stadt hinaus in das Weinanbaugebiet, eine Dreiviertelstunde, führt uns an den Townships und dem Flughafen vorbei. Weil ich zwischen Gregs und Clares Haus hin- und herpendele, vergesse ich leicht, wo ich mich befinde. Es könnte San Francisco sein, mit ein paar mehr Bettlern auf der Straße, ein paar mehr Leuten, die dir Obst, allerlei Kram oder Zeitungen verkaufen oder die Wagenfenster waschen wollen. An einer Kreuzung bei Bishopscourt, am Abzweig nach Kirstenbosch, verkaufen eine Handvoll Männer identische Collagen-Darstellungen des Lebens in den Townships: Gemälde auf Leinwand, auf die winzige Blechhütten geklebt sind, um ein primitives Basrelief zu schaffen. Ich habe nie gesehen, dass jemand eins davon gekauft hat.
Auf Werbetafeln überall an der N2, der Ausfallstraße zum Flughafen und zur Nationalstraße, die an der Ostküste entlangführt, steht zu lesen: VOM ELENDSVIERTEL ZUR MENSCHENWÜRDE. Ich erinnere mich dunkel daran, auf dieser Straße mit Bernard gefahren zu sein; beinah hätte ich es völlig vergessen.
Vor ein paar Jahren hatten sich die Elendshütten – aus Pappe, Blech, Plastikplanen, Flaschen, Büchsen, Reifen, Schlamm oder was sich sonst fand hergestellt – unkontrolliert ausgebreitet und waren bis an die Autobahn vorgedrungen, erzählt mir Greg. Vor ein oder zwei Jahren hatte es eine Räumung gegeben, damit die ausländischen Touristen nicht so verschreckt würden.
Am Weingut parken wir neben einem dieser authentischen Gebäude aus dem 17. Jahrhundert, frisch getüncht, und finden bei einem kleinen Teich einen schattigen Tisch, auf dem wir unser Picknick ausbreiten können. Dylan macht Hühner nach und Greg sagt freundlich: »Das sind Enten, Kleiner. Wie machen denn Enten?« Quak-quak statt Piep-piep. Wir machen eine Flasche Wein auf, geben Dylan eine Tasse Saft und essen Salate und Sandwiches, während er spielt. Er hat keinen Hunger. Er hat seit dem Frühstück pausenlos gegessen.
Ich schaue zu den nackten Felsen oben auf dem Berg hoch. Die Sonne ist so nah, dass es sich anfühlt, als drückte mich ein Gewicht nieder. Die Luft riecht nach meiner Kindheit, nach meinen Eltern, nach dem Zuhause, in dem ich aufgewachsen bin – nach Aloen und Holzfeuer, Fynbos-Pflanzen und stechend riechendem Blütenstaub, dessen Geruch auch von einem Tier stammen könnte und der zusammen mit Staub Flecken auf Buchseiten hinterlässt und sich auf Oberflächen so dauerhaft festsetzt, dass der Geruch nicht mehr wegzukriegen ist. Ich erinnere mich, dass meine Eltern ihre Bücher wie besessen abstaubten, die Umschläge in Folie hüllten, um sie zu schützen, und den allmählichen Verfall beobachteten, den sie nur hinauszögern konnten. Bücher bedeuteten ihnen alles, Bücher in falschen Hüllen, Reihen gefährlicher Bücher, versteckt hinter den unverdächtigeren, Bände, verborgen unter einem losen Dielenbrett im Fußboden meines eigenen Schlafzimmers. Was wohl aus all diesen Büchern geworden ist? Was wohl aus all unserem Besitz geworden ist? Ich habe nichts von alldem, nichts aus meiner Kindheit. Aus der Zeit von der frühen Kindheit bis zum Beginn der Pubertät besitze ich lediglich ein Foto von mir. Die fortlaufende Dokumentation meines Aussehens beginnt erst mit meiner Ankunft im Haus von Tante Ellen, nachdem meine Eltern nicht mehr da waren, nachdem auch Bernard nicht mehr da war.
Nach dem Essen finden wir die Hühner im Kräutergarten, der das teure Restaurant des Weinguts beliefert, und Dylan piepst vor Vergnügen. Er ist ein liebes Kind; er fasst uns beide bei den Händen und hüpft aufgeregt auf und nieder, piep-piep-piep , er sieht uns beide Beifall heischend an.
»Er mag dich«, sagt Greg.
»Er hat Glück.« Ich frage mich, ob Greg weiß, wie viel Glück sein Sohn hat.
Auf der Rückfahrt halten wir in Stellenbosch an, um ein Eis zu essen, und setzen uns dazu in einem Park ins Gras. Eine Gruppe Studenten spielt Fußball und weiter weg verkaufen Straßenhändler Tand an Touristen.
Zwei
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