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Absolution - Roman

Absolution - Roman

Titel: Absolution - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deutsche Verlags-Anstalt
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abgebrochen. Das war kein Gesicht, das dir gefiel, zu viel von mir in der Kieferpartie und im Teint, die Wangen zu schlaff.
    Als du zurück ins Lager schlichst, fandst du Sam vor dem Zelt sitzend und in die Bäume hochstarrend. Seit der Ankunft auf dem Zeltplatz in der letzten Nacht wirkte er apathisch, weniger menschlich, abwesend. »Hast du gut geschlafen?«
    »Können wir meine Tante anrufen? Ich möchte jetzt nach Hause«, ein langes, hohes Winseln wie von einem Hund.
    »Hier gibt es kein Telefon. Komm, ich helfe dir.« Du hast Sams Sachen, die mit Blut und Erbrochenem verschmutzt waren, in den Abfallcontainer des Zeltplatzes geworfen und ihn dann in die letzten sauberen Kleidungsstücken aus seiner kleinen Tasche – Hemd und Shorts – gesteckt. Wenigstens konntest du darauf zählen, dass du ihn bei seiner Tante abliefern und die Verantwortung abgeben konntest.
    Als die Männer aufwachten, brühten sie Nescafé und du trankst ihn schweigend, während Sam Kondensmilch aus einer Büchse schlürfte. Die üblichen Reisegepflogenheiten, eine Route diskutieren, über Zeit, Entfernung und Umleitungen spekulieren, das großspurige Gerede von Männern, das war alles überflüssig. Es gab nur einen logischen Weg von dort nach Beaufort West, eine Straße durchs Gebirge.
    Nachdem du deinen Kaffee getrunken hattest, halfst du den Männern, das Zelt abzubauen und die Schlafsäcke zusammenzurollen – alles handlich und gepflegt. Du hast an deine Wohnung und deren spärliche Ausstattung gedacht, nun verlassen und bereits durchwühlt. Dir war klar, dass man deine Papiere lesen und alles durchsuchen würde. Man würde nach einzelnen Telefonnummern, Adressen, Namen, verbotenen Büchern in braunen Umschlägen suchen, die wenigen Gegenstände, denen du einen sentimentalen Wert gestattet hattest, würden umgestoßen, zerbrochen. Selbst diese Dinge, abgesehen von den Büchern, hätten für keinen außer dir und vielleicht mir einen erkennbaren Wert. Eine blaue Glaskaraffe, die du als Vase benutzt hattest. Eine gewebte Raphiabastarbeit mit einem geometrischen Muster. Zwei Pflanzen. Ein Foto von deinem Vater als Junge. Eine Auswahl kleiner Muscheln, an verschiedenen Stränden gesammelt. Die Wohnung wurde möbliert vermietet, die Stühle und Tische gehörten nicht dir. Schon als Kind hast du nichts für Eigentum übriggehabt. Die Behörden würden mich unausweichlich auffordern, abzuholen, was von deinem Eigentum übrig geblieben war, nachdem sie ihre Aufgabe erledigt hatten. Sie würden ebenfalls unausweichlich nichts finden, was ihnen bei ihren Untersuchungen helfen würde. Verbotene Bücher, das ja, aber keine Telefonnummern, keine Namen, keine Adressen, keine Daten in Verbindung mit Orten. Die Vermieterin äußerte ihren Unwillen über den nicht gereinigten Backofen, die staubigen Fußleisten, die Spinnenweben am Kronleuchter, über fehlendes Inventar – die Intarsienplatte aus drei verschiedenen Holzarten in Form eines Fisches, die Duftschale aus Plastik, den Gummibaum in einem Topf mit rosafarbener Glasur –, jene Gegenstände, die du gehasst und absichtlich entsorgt hattest. Ich ließ mir die Anzahlung nicht aushändigen, weil ich zu viel zu tun hatte und keinen Wert auf das Geld legte und die Wohnung nicht selbst reinigen wollte. Wir wohnten zehn Minuten voneinander entfernt und so viele Jahre lang kannte ich deine Adresse nicht. Wenn ich sie gekannt hätte, wäre ich jeden Tag gekommen. Vielleicht hast du sie mir deshalb nicht mitgeteilt.
    »Bist du so weit? Lamia?« Du reagiertest nicht. Sie war in sich. Du warst in dir versunken. »Lamia? Wir sind so weit, wenn du und Sam so weit seid.«
    »Ja. Wir sollten los.«
    Die Sonne stand schon hoch am Himmel, als du vom Zeltplatz weg in das grelle Licht des baumlosen Gebirges fuhrst, wo vulkanisches rotes Gestein in sanften Wellen hinabführte. Die restliche Passstraße war nicht so schrecklich wie die, die du in der Nacht zuvor bewältigt hattest – weniger Haarnadelkurven, weniger dramatische Abgründe. Jetzt ging es nur darum, weder Kupplung noch Bremse überzustrapazieren. Du hattest Angst, dass du durch die Ruhe einer Nacht kostbare Zeit verloren hattest.
    Sam richtete seine Aufmerksamkeit auf die beiden Männer und fixierte sie mit dem gleichen unnachgiebigen, starren Blick, der dich so bewegt und irritiert hatte. Es war eine Erleichterung, nicht im Zentrum seiner Aufmerksamkeit zu sein. Sam sah sie nicht nur an, er studierte sie, als wären Erwachsene eine fremde

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