Absolution - Roman
nur bissig.« Du fragtest sie aus. Sie erklärten, dass gerade Semesterpause sei, wo sie weg könnten von der Universität, Gutes tun, Erfahrungen sammeln, was junge Leute, die die Stadt mal hinter sich lassen, so tun. Und dann schnitt Lionel ein anderes Thema an.
»Es passieren schreckliche Dinge.«
»Ja, schreckliche Dinge«, gabst du ihm recht.
»Eine gefährliche Zeit.«
»Eine äußerst gefährliche Zeit«, sagtest du. Ihnen war nicht bewusst, wie gefährlich.
»Besonders für Leute wie uns. Junge Leute.«
»Ja, besonders für uns.«
»Eine sehr schlimme Zeit.«
»Stimmt. Schlimmer geht’s nicht.«
Um bis hierher zu kommen, waren sie per Anhalter von Kapstadt nach George gefahren, wo sie Spenden für medizinische Zwecke gesammelt hatten, dann waren sie von George nach Oudtshoorn getrampt, ehe sie von dort zu Fuß zum Pass gelangt waren. Sie hatten ihr Zelt dabei, ihre Schlafsäcke, medizinische Notversorgung und genug Nahrungsmittel für eine Woche, was ihrer Schätzung nach reichen müsste, um die Klinik zu Fuß zu erreichen, wenn sie keine weitere Mitfahrgelegenheit bekamen.
»Die Klinik wird von Lionels Eltern und ihren reichen Freunden finanziert«, sagte Timothy lächelnd.
»Das hört sich an, als käme er aus der Gosse.« Lionel stieß seinen Freund mit dem Ellbogen an. »Seine Mutter ist die medizinische Leiterin der Klinik. Was machst du so?«
»Ich war Reporterin«, sagtest du halb ehrlich. »Ich habe für den Cape Record gearbeitet.«
»Das muss interessant gewesen sein.«
»Ja, interessant.« Zu vorsichtig, um mehr zu sagen, hast du gesehen, wie die beiden Männer den Atem angehalten haben, als zweifelten sie daran, dass ihr auf derselben Seite wart. Waren die Seiten denn so klar?, hast du dich gefragt.
»Und jetzt fährst du einen Laster?«, fragte Lionel.
»Jetzt fahre ich einen Laster.« Du sprachst nicht wie ein Lkw-Fahrer und Timothy sah wieder skeptisch drein.
»Und dein Junge?«
»Wie ihr schon gesagt habt, sind jetzt große Ferien. Er begleitet mich, wenn er nicht in der Schule ist.«
Es war spät und ihr fingt alle an zu gähnen und euch zu strecken, während die Gesprächspausen immer länger wurden. Nach einer halben Stunde hast du die beiden Männer allein gelassen und mit einem freundschaftlichen Küsschen auf die Wange Gute Nacht gesagt. Im Zelt hast du dich in eine Ecke neben Sam gequetscht, konntest aber nicht einschlafen – ein Fluch, der stets zu den ungelegensten Zeiten wiederkehrte. Dir fiel ein, dass du als Kind darum gebetet hast, deine Augen rausnehmen und träumen zu können, wie andere träumen, als ob die Augen allein fürs Wachen oder Schlafen verantwortlich wären.
Du sahst zu, wie Sam atmete. Im Spalt zwischen seinen dünnen Lippen fingen schiefe Zähne das Licht des Feuers ein, das durch die grüne Zeltleinwand drang. Mit dem Licht kam der schwere Geruch von Holzrauch und versetzte dich zurück zu früheren Feuern an den Stränden der Kindheitsferien, auf der Farm anlässlich von Beerdigungen und Hochzeiten, zahllosen Feiern der alltäglichen und der außerordentlichen Art, Feuern, die mit beißend riechendem Reisig und Zitronenbaumholz gemacht waren, mit Kiefernholz, das vor Saft knallte und zischte, mit Kohlen und Feuerzeugbenzin, über dem Rindfleisch- und Fischstücke gebraten wurden, von denen es tropfte, dass die Funken sprühten. Hinter dem Knistern und Fauchen des Lagerfeuers in dieser Nacht konntest du die Männer flüstern hören.
Vor Sonnenaufgang standst du auf und schlichst dich zum Lkw, an ihnen vorbei, die mit dem Kopf auf den Armen schliefen. Mithilfe von einem der Hemden, das Bernard in einer Tasche unter dem Sitz verstaut hatte, und Wasser, das du in einer Plastikflasche aus den Duschen am Rand des Zeltplatzes geholt hattest, hast du das meiste Blut im Fahrerhaus weggeschrubbt, sodass am Ende nur noch ein brauner Fleck blieb, der im helleren Braun der Vinylpolster verlief. Sollten sie Fragen stellen, würdest du ihnen sagen, dass Sam Nasenbluten gehabt hatte, weil das bei Kindern oft vorkam, und dann fiel dir ein, dass Sam tatsächlich Nasenbluten gehabt hatte. Die Täuschung würde selbst eine Art Wahrheit sein.
Du hast dich geduscht, dich unter das kalte Wasser zwingend, und Shorts und deine letzte saubere Hemdbluse angezogen. Draußen war es hell genug, um dich in einem der Lkw-Spiegel zu betrachten. Unter deinen Augen waren ins Violette spielende Tränensäcke und du hattest dir vor Kurzem ein Stück vom Schneidezahn
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