Abstauber
Handtasche zu kramen. Tauner beherrschte sich und seinen Drang zur Waffe zu
greifen, sie würde nicht noch eine bei sich haben, vermutete er. Schließlich hatte
die Ehlig, was sie wollte, ihre große Sonnenbrille, und setzte sie auf. Es wäre
nicht nötig gewesen, die Sonne stand so tief zwischen den Häuserzeilen, dass sie
nicht mehr blenden konnte. Frau Ehlig weinte. Aber sie weinte, wie eine Grand Dame
weinte, als ob sie wütend wäre, als versuchte sie, Contenance zu bewahren, während
sie die Herrschaft über ihre Gefühle verlor. Woher wusste sie schon wieder Bescheid,
fragte Tauner sich. Um der Ehlig noch ein bisschen mehr Zeit zu geben, sah er in
ihrem Navigationsgerät nach, wo sie eigentlich hinwollte. Erstaunt stellte er fest,
dass es ein Hotel in der Sächsischen Schweiz sein musste. Wollte sie von dort aus
nach Tschechien ausweichen, aber warum sammelte sie ihn dafür ein? Und glaubte sie,
man würde sie dort nicht erkennen? Tauner beschloss, vorerst nicht weiterzuspekulieren.
Sie hatten ein ganzes Stück Fahrt vor sich, fast eine Stunde.
»Wir tragen uns schon lange mit
dem Gedanken der Trennung«, sagte Frau Ehlig plötzlich.
Tauner wartete einen Moment, doch
vorerst kam nicht mehr. »Meine Frau will sich auch scheiden lassen«, sagte er schließlich.
Frau Ehlig drehte sich ein wenig
in ihrem Sitz. »Will sie, oder wollen Sie und sagen es nur nicht?«
Tauner warf ihr einen kurzen Blick
zu. Warum war das so wichtig für alle?, dachte er sich. »Es ist mir egal!«, gab
er schließlich zu. Frau Ehlig schnaubte leicht abfällig.
»Wissen Sie, warum ich Klaus geheiratet
habe?«, fragte sie dann.
»Nicht wegen des Geldes«, sagte
Tauner schnell.
Wieder schnaubte die Ehlig. »Hat
das Ihr feiner Herr Bärlach herausgefunden? Vielleicht war ich einfach nur verliebt
in den Mann! Könnten Sie das akzeptieren?«
»Mögen Sie ihn nicht, den Bärlach?«
»Meine Erziehung verbietet es mir,
darüber auch nur ein Wort zu verlieren.«
Also nein, dachte Tauner, warum
so viele Worte. »Was haben Sie vor?«, fragte er.
»Ich will herausfinden, warum Sie
solch ein Ekel sind, obwohl Sie mich offenbar sehr mögen!«, erwiderte die Ehlig
und das gab Tauner genügend Stoff zum Grübeln.
»Was halten Sie von den Jungs, wie
Frau Jansen sie nennt?«, fragte Tauner, nachdem sie die Stadtgrenze von Dresden
passiert hatten.
»Sie kommen nicht dahinter, was?«
Offenbar war Frau Ehlig froh, dass er wieder sprach, doch trotzdem spöttelte sie.
»Es geht mir nicht in den Kopf.
Nicht weil ich geizig bin, oder gierig, ich teile auch gern, doch das geht mir zu
weit!«
»Sie vermuten Misstrauen in der
ganzen Welt«, stellte Frau Ehlig fest.
Tauner verzog den Mund, wollte sich
rechtfertigen und entschuldigen zugleich, doch dann sah er sie an. »Und liege ich
denn falsch damit? Diese Welt hat mir Misstrauen gelehrt!«
Nun tat die Ehlig etwas Erstaunliches.
Sie legte ihren Arm auf seine Sitzlehne und fasste ihm zärtlich ins Genick. »Sie
trauen sich nicht einmal selbst!«, sagte sie leise in diesem so vertraulichen Augenblick.
»Sie wissen nicht einmal, was Sie im nächsten Moment tun werden!«
Zuerst wollte Tauner ihre Hand abstreifen,
weil es sich nicht gehörte, weil das eine Geste war, die mehr bedeutete als nur
ein wenig Gelegenheitssex, doch dann fragte er sich, wann ihn das letzte Mal eine
Frau so angefasst hatte und stellte fest, dass er sich kaum erinnern konnte.
»Die Jungs sind furchtbar. Sie sind
penetrant, keine Minute ist man sicher vor ihnen, nicht im Urlaub, nicht im Flugzeug,
nicht in der Nacht. Sie rufen einander an, sobald einer eine Idee hat. Wenn einem
langweilig wird, lassen die anderen alles stehen und liegen und eilen zu ihm. Keiner
von denen würde auch nur einen Cent auf seine Frau geben, wenn die anderen ihn brauchen.
Das klingt nach den Musketieren, nach einer verschworenen Gemeinschaft, und das
ist es auch, doch dabei bleiben alle anderen auf der Strecke. Und so sind sie allesamt
sechzig geworden und benehmen sich noch wie Zwanzigjährige. Alberne Jungs!«
»Mächtige Jungs, reiche Jungs!«
»Mächtig und reich, da haben Sie
recht. In Hamburg kommt niemand an ihnen vorbei. Kein Bauprojekt, keine Geldanlage,
in dem nicht Geld von ihnen steckt. Rüdinger kontrolliert alles, er hat alles in
der Hand. Glauben Sie, die verlorenen sechs Millionen D-Mark wären viel Geld gewesen?
Dann haben Sie noch nicht gesehen, wie reich die Jungs wirklich sind.«
»Und Ihr Mann?«
Die Ehlig lachte traurig. »Der
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