Abteil Nr. 6
Fotze. Außer einem obszönen Weib mit einem Arsch wie eine Betonmischmaschine.«
Vor Ärger zuckten seine Wangen, die Enttäuschung stand ihm ins Gesicht geschrieben, und hinter der Enttäuschung schimmerte Niedergeschlagenheit hervor. Den ganzen Tag saßen sie stumm da, bis ins violette Licht der Nacht hinein. Erst dann öffnete der Mann eine Schnapsflasche, goss sich ein Glas voll in den Hals und sagte heiser:
»Ich liebe den Wodka, so wie wir alle. Wenn ich einmal angefangen habe, kann ich sieben Flaschen am Tag trinken. Bis zum bitteren Ende. Dann kommt Katinka mit dem Besen und holt mich heim. Eine Woche später bin ich wieder ein anständiger Kerl und gehe zum Saufen auf den Bau. Bei der Trinkerei entstehen auf der Baustelle die Minimalergebnisse ganz von selbst in Maximalzeit. Aber wenn ich keinen Wodka kriege, raste ich aus.«
Die junge Frau war müde. Sie wollte schlafen.
»Wie trinkt man denn bei euch? Wahrscheinlich lebt ihr auf die baltische Art. Die Männer kreisen um die Flasche, die Frauen um die Männer, und um die Frauen kreisen die Kinder. Die Flasche hält die ganze Bande auf Trab. Bei uns geht es andersherum. Wir lassen die Flasche kreisen, nicht umgekehrt.«
Die junge Frau schaute den Mann an. Sie wirkte nicht überzeugt. Sein Gesicht versteinerte, und er blickte finster zurück.
»Deine Meinung interessiert mich nicht. Für mich bist du bloß Abschaum.«
Sie saßen still da. Die junge Frau schluckte.
»Ich bin ein Dummkopf, verzeih mir, mein Mädchen«, sagte der Mann schließlich, mit echter Reue in der Stimme.
Sie richtete den Blick aufs Fenster. Draußen glitt der vom Mond erleuchtete Jenissei vorbei, der die Stadt Krasnojarsk teilte. Auf seiner Eisdecke saßen Pilker, Möwen und Kolkraben, am Ufer lagen eingefrorene Prahme und Schlepper. Die matten Sterne in der Ferne schienen auf dem Eis zu schlafen.
Als der Jenissei zurückblieb, trat die junge Frau auf den Gang. Dort lag nun ein Hauch von Frühjahrswind, man konnte ihn sogar durch das Fenster riechen. Draußen fiel leichter Schnee, in großen Flocken schwebte er auf die eisige Erde zu. Plötzlich bremste der Zug ohne Vorwarnung heftig, die Räder dröhnten, die Waggons erzitterten, vom Gleisbett stob weicher Schnee auf, und irgendwo schrie eine Frau. Die junge Frau stieß mit dem Kopf gegen den Fensterrahmen und fing sofort an zu bluten. Arisa rief am Ende des Ganges mit rauer Stimme:
»Volksgenossen! Wir sind in Taischet. Von hier sind es 4515 Kilometer bis Moskau, und die Uhr geht der Moskauer Zeit fünf Stunden voraus.«
Die junge Frau hielt sich die Stirn und kehrte ins Abteil zurück, wo der Mann damit beschäftigt war, die Scherben eines Teeglases auf dem Fußboden einzusammeln.
Er reinigte die Stirnwunde mit Wodka, klebte das Gazepflaster, das ihm die junge Frau gegeben hatte, darüber und blies ihr zum Abschluss in die Haare. Die verpestete Luft im Abteil löste Übelkeit bei der jungen Frau aus. Sie schnappte sich den leeren Wasserkanister des Mannes, ging auf den Gang und stieg aus dem Waggon. Im Freien war die Luft schneidend kalt und roch nach Kerosin. Hinter einer rötlichen Wolke zeigte sich flüchtig der Mond. Sie ging an der Lokomotive vorbei auf die andere Seite des Zuges. Auf dem Nebengleis war eine gebrechliche Lok umgekippt. Die junge Frau eilte daran entlang und fand bald das Fenster ihres Abteils. Sie stellte den Kanister auf einen Stapel Bahnschwellen, stieg mit einem Bein darauf und wischte das Fenster mit einem schmutzigen Strumpf sauber. Anschließend kehrte sie auf den Bahnsteig zurück und betrat wieder den Zug.
Der Mann röchelte im Tiefschlaf wie ein Starkbierfass. Auch die junge Frau schlief ein, und als sie am nächsten Morgen aufwachte, frühstückte sie geschwind. Wenige Stunden später wachte der Mann auf. Zuerst zuckte die Hand, dann ein Finger, dann ein Auge; die Zunge bewegte sich, leckte über die Lippen. Schließlich ein Ruck und ein Strecken. Träge richtete er sich auf, zog seinen Trainingsanzug an, machte Gymnastik und bereitete sich eine schwere Mahlzeit zu.
Bis zum Abend saßen sie da. Die junge Frau zeichnete, hörte Musik, aß und zeichnete wieder. Der Mann döste, legte eine endlose Patience und döste erneut. Nach der langen, aber ungezwungenen, bis zum folgenden Mittag reichenden Stille schlug der Mann vor, zum Essen in den Speisewagen zu gehen.
»Man muss im Sibirien-Express wenigstens mal im Speisewagen gegessen haben. Dafür ist er schließlich da, und jetzt hat er
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