Abzocker
war es erschreckend. Wir waren einander ein wenig zu ähnlich. Wir hatten uns beide dasselbe überlegt. Inzwischen denke ich, dass es wahrscheinlich so sein musste.
»Vielleicht ist sein Herz nicht mehr so gut«, fuhr ich fort, redete um den heißen Brei herum. »Vielleicht fällt er eines Tages um, und alles ist vorbei. Das passiert jeden Tag, weißt du? Es könnte ihm auch passieren.«
Sie wiederholte, was wir beide am Strand gesagt hatten. »Wenn dieses Bett Flügel hätte, könnten wir davonschweben, Lennie. Oder wenn es ein fliegender Teppich wäre. Sein Herz ist vollkommen in Ordnung. Er geht dreimal im Jahr zum Arzt, um sich untersuchen zu lassen. Vielleicht hat er Angst vor dem Sterben. Ich weiß es nicht. Dreimal im Jahr geht er zum Arzt, verbringt den ganzen Tag dort und lässt sich von Kopf bis Fuß durchchecken. Er war erst vor einem Monat dort. Körperlich ist er in bester Verfassung. Er hat noch vor mir damit angegeben.«
»Trotzdem könnte er einen Infarkt bekommen. Auch ein ganz gesundes Herz kann …«
»Lennie.«
Ich hielt inne und sah sie an.
»Es geht hier doch gar nicht um einen Herzinfarkt. Du meinst doch etwas ganz anderes.«
Ich sagte nichts.
»Du meinst, er könnte einen Unfall haben. Das meinst du doch, oder?«
Ich nahm einen Zug von der Zigarette. Ich schaute ihr direkt in die Augen und versuchte, all die verschiedenen Dinge unter einen Hut zu bekommen. Wenn es überhaupt möglich war, dann nicht für mich. Die Dinge waren zu unterschiedlich, sie passten einfach nicht zueinander.
»Ich wollte, wir wären nicht wir«, sagte sie jetzt. »Ich wollte, wir wären andere Menschen. Andere Menschen würden so schlimme Dinge nicht einmal denken. Und was wir denken, ist schlimm.«
Dazu sagte ich lieber nichts.
»Ich liebe ihn nicht, Lennie. Vielleicht liebe ich dich. Keine Ahnung. Ich weiß nur, dass ich bei dir sein möchte und nicht bei ihm. Aber er ist … ein guter Mann, Lennie. Er ist gut zu mir. Er ist nicht gemein oder grausam oder böse oder …«
Er war ein Drogendealer im großen Stil, führte ein imposantes Import-Export-Geschäft, nur dass er illegale Ware importierte. Er war der Big Boss in einem reizenden Geschäft, das Schulkinder dazu brachte, Raubmorde zu begehen, um sich das nötige Geld für ihre Sucht zu beschaffen. Er war ein Top Player in einem Spiel, dass mehr Leid über die Menschheit gebracht hatte als all die anderen reizenden Spielchen zusammen.
Aber das wusste sie nicht, und ich wusste nicht, wie ich es ihr beibringen sollte. Und deshalb blieb er für sie ein guter Mann, nicht böse oder grausam oder gemein.
»Was möchtest du jetzt tun?«
Sie wollte nicht mehr darüber reden, und sie hatte überzeugende Argumente für den Themenwechsel: Sie streckte die Arme nach mir aus und lächelte mich halbherzig an.
»Wir haben noch ein paar Stunden«, sagte sie. »Lass sie uns im Bett verbringen.«
Im dem Moment hatte ich das noch für eine ausgezeichnete Idee gehalten. Aber nach einer Weile schlief ich ein und sie nicht. Sicher, ich hätte es nicht so weit kommen lassen dürfen. Es war ein Fehler. Aber ich war nicht in der Verfassung, um einen klaren Gedanken zu fassen. Und so kam es, wie es kommen musste.
Ich wachte auf, weil sie mich an der Schulter schüttelte. Sie blickte mich mit großen, vor Schreck geweiteten Augen an. Ich kapierte nicht sofort, was los war. Ich musste es erst hören, ehe es mir dämmerte.
»Lennie …«
Ich saß auf dem Bettrand und schob ihre Hand von meiner Schulter. Sie hatte ihre Nägel in meine Haut gebohrt. Ich weiß nicht, ob sie es in dem Moment überhaupt mitbekommen hatte.
»Die Koffer …«
Mein Verstand ist so kurz nach dem Aufwachen immer etwas träge. Ich war noch immer leicht verschlafen.
»Lennie, was machst du denn mit Keiths Koffern in deinem Schrank?«
Das war eine verdammt gute Frage.
Sie war so verwirrt, dass sie nicht richtig denken konnte. Sie stand da und plapperte wild drauflos. Ich musste ihr zweimal ins Gesicht schlagen, um sie zu beruhigen. Ich schlug nicht besonders fest zu, aber jeder Schlag tat mir weh. Schließlich setzte ich sie in einen Sessel und brachte sie dazu, die Klappe zu halten und mir zuzuhören.
Es gab eine Menge Dinge, die ich ihr noch nicht sagen wollte, und einige, die ich ihr am liebsten nie gesagt hätte. Aber ich hatte keine Wahl. Sie hatte die Koffer mit den Initialen L.K.B. im Schrank gesehen. Gott allein weiß, wie sie auf die Idee gekommen war, in meinem Schrank
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