Abzocker
Kallett – Vertrauliche Ermittlungen … Kanzlei Rafael Messero – Scheidungsangelegenheiten. Neun Stockwerke voller kleiner Büros, neun Stockwerke freien Unternehmertums. Ich fragte mich, warum er kein standesgemäßeres Büro hatte. Und ich fragte mich, ob er wirklich jemals in seinem Büro auftauchte.
Sein Name stand auf der Hinweistafel. Der Lift ging automatisch, und ich fuhr damit in den fünften Stock. Ich stieg aus, ging an dem Büro der Jobagentur vorbei zu der Tür mit der Aufschrift L. K. Brassard. Die Tür hatte eine Milchglasscheibe, die mir den Blick ins Innere versperrte.
Ich versuchte die Tür zu öffnen, doch es hätte mich gewundert, wenn das Büro offen gewesen wäre. Die Tür war mit einem normalen Schnappschloss ausgestattet, das sich nur mit dem Schlüssel öffnen ließ, sobald die Tür ins Schloss gefallen war. Zwischen Tür und Rahmen war ein Spalt von gut drei Millimetern. Ich blickte zur Zenith Jobagentur hinüber; die Tür war verschlossen. Ich fragte mich, wie hoch wohl die Strafe war, wenn man eine Tür aufbrach.
Mit Hilfe meines Taschenmessers brauchte ich gerade mal zwanzig Sekunden. Es ist eine ganz einfache Operation: Man schiebt die Messerklinge zwischen Tür und Rahmen und drückt den Schlossmechanismus zurück. Gute Türen liegen auf dem Türrahmen auf, dann lassen sie sich nicht so einfach knacken. Doch dies hier war keine gute Tür. Ich öffnete sie einen Spalt und sah mich noch einmal im Gang hinter mir um. Dann drückte ich sie auf, trat ein und schloss sie hinter mir.
Der Raum sah aus wie ein ganz normales Büro. In einer Ecke stand einer der ältesten Rollschreibtische Amerikas mit einem Tintenfass darauf. Ich suchte automatisch nach einem Federkiel und war beinahe überrascht, keinen zu finden.
Auf dem Schreibtisch lagen ein halbes Dutzend großformatiger Geschäftsbücher, die ich ziemlich genau unter die Lupe nahm. Ich weiß nicht, was ich hier zu finden hoffte. Vielleicht waren die Eintragungen verschlüsselt oder sie bedeuteten überhaupt nichts. Jedenfalls war es Zeitverschwendung, sie länger durchzusehen.
Die Schubladen und Fächer des Schreibtisches brachten auch nichts Besonderes zutage, da waren nur Rechnungen, abgestempelte Schecks und Kontoauszüge. Offenbar wickelte Brassard neben seiner Haupteinnahmequelle auch ein paar durchaus legale Geschäfte ab. Soweit ich das feststellen konnte, importierte er eine Menge japanischen Kram – Feuerzeuge, Spielwaren, Modeschmuck. Das passte ins Bild. Gut möglich, dass Heroin aus China oder Hongkong oder Macau über Japan in die USA eingeführt wurde.
Ich saß auf dem Lederstuhl an seinem Schreibtisch und versuchte, mich in seine Lage zu versetzen. Am meisten beeindruckte mich das Doppelleben, das er führte. Er war kein Verbrecher wie Reggie Cole oder Max Treger. Wer Treger kannte, wusste, was für ein Mensch er war. Er war nur noch nicht im Knast gelandet, weil niemand genügend Beweise beschaffen konnte, um ihn dorthin zu befördern. Doch falls Treger verheiratet war, dann wusste Mrs. Treger ganz genau, womit ihr Mann die Nerzmäntel bezahlte. Einige von Tregers Nachbarn schnitten ihn, andere taten so, als wäre er einer der ihren. Aber alle wussten, dass er ein Krimineller war. Die Leute in Cheshire Point aber hatten keine Ahnung, wer sich hinter der Fassade des guten alten Keith Brassard verbarg.
Ich trommelte mit den Fingern ein Solo auf dem respektablen Schreibtisch und fragte mich, warum zum Teufel ich überhaupt in sein Büro gekommen war. Keine Ahnung, was ich erwartet hatte. Ich war nicht vom Rauschgiftdezernat, ich wollte keinen Rauschgiftring ausheben. Ich war ein Klugscheißer, der Brassard umbringen und sich seine Frau schnappen wollte. Was hatte ich also hier verloren?
Ich wischte jeden Gegenstand ab, den ich berührt hatte. Wahrscheinlich war das nicht notwendig. Aber ich wollte keine Fingerabdrücke in seinem Büro hinterlassen, falls doch einmal jemand eine Verbindung zwischen mir und ihm herstellte. Dabei stieß ich noch auf einen Fetzen Papier mit vier Telefonnummern und ohne den geringsten Hinweis, was die Nummern bedeuteten. Ich schrieb sie ab.
Er würde merken, dass jemand in seinem Büro gewesen war. Ich bemühte mich, alles so zu hinterlassen, wie ich es vorgefunden hatte, doch einige verstellte Gegenstände würden den Einbruch verraten. Hoffentlich gab es eine Putzfrau mit einem eigenen Schlüssel; dann würde er nicht auf den Gedanken kommen, dass jemand sein Büro durchsucht
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