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Abzocker

Abzocker

Titel: Abzocker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Block
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ersten Mal ran. Er hat gemeint, jemand hätte sich verwählt. Aber ich hab gewusst, dass du es bist.«
    Ich holte tief Luft. »Ich muss dich sehen«, sagte ich. »Kannst du morgen nach Manhattan kommen?«
    »Ich denke schon. Er geht ins Büro. Ich begleite ihn einfach in die Stadt und sage ihm, ich hätte Einkäufe zu erledigen. Irgendwann zwischen neun und zehn bin ich da. Einverstanden?«
    »Perfekt.«
    »Wo wohnst du?«
    »In einem Hotel«, sagte ich. »Im Collingwood. Östlich vom Herald Square.«
    »Wollen wir uns dort treffen?«
    Ich überlegte. »Nein, besser nicht«, sagte ich. »In der Vierunddreißigsten Straße zwischen Sixth und Seventh Avenue ist ein Selbstbedienungsrestaurant. Treffen wir uns dort.«
    »Die Vierunddreißigste zwischen der Sixth und Seventh. Ich werde dort sein. Ich liebe dich, Joe.«
    Ich sagte ihr, dass ich sie auch liebte. Ich sagte ihr, wie scharf ich auf sie war.
    »Ich muss jetzt auflegen«, sagte sie. »Ich bin in den Laden, um Tampons zu holen. Er wird sich wundern, weshalb ich so lange brauche.«
    »Tampons?«
    Meine Stimme muss enttäuscht geklungen haben, denn sie kicherte. Ihr Kichern klang sehr sexy. »Keine Sorge«, meinte sie. »Auf diese Weise schlage ich zwei Fliegen mit einer Klappe. Mit der Ausrede konnte ich zum Laden fahren, und gleichzeitig halte ich mir so Keith vom Leib. Ich will nicht, dass er mich heute Nacht anfasst, Joe. Nicht, wenn du so nahe bist. Ich könnte das nicht ertragen.«
    Sie legte auf, und ich stand da mit dem Telefonhörer in der Hand. Ich trat auf die Straße und versuchte, mir mein Zittern nicht anmerken zu lassen. Auf dem Weg ins Hotel kehrte ich in einer kleinen Bar ein, kippte einen doppelten Bourbon und trank dann langsam das Bier zum Nachspülen.
    Der Barkeeper war ein hünenhafter Mann mit breiter Stirn. Er hörte Countrymusic auf einem Transistorradio, das er hinter der Bar auf die Theke gestellt hatte. Der Song handelte von einer herzlosen Zicke, die dem Sänger furchtbaren Liebeskummer bereitete. Der Barkeeper polierte im Rhythmus seine Gläser. Zwei oder drei Burschen saßen allein da und tranken. Ein Mann und eine Frau saßen in einer Nische und tranken und kamen sich dabei immer näher.
    Wie lange war es her, dass ich sie zuletzt gesehen hatte? Weniger als eine Woche. Fünf oder sechs Tage. Doch selbst in so kurzer Zeit kann man eine Menge vergessen. Ich konnte mich an ihr Aussehen erinnern, wie sie sich anhörte und wie es war, sie in den Armen zu halten. Aber ich hatte fast vergessen, wie sehr ich sie brauchte.
    Der Klang ihrer Stimme hatte alle Erinnerungen in mir aufleben lassen. Sie brachen mit Gewalt über mich herein.
    Ich überlegte, wie ich ihn töten würde. Denn natürlich musste ich der Killer sein. Und ich würde es allein tun. Denn der Verdacht würde sofort auf sie fallen. Sie war die Hauptverdächtige, mit der sich die Bullen als Erstes beschäftigten. Ich musste dafür sorgen, dass sie ein perfektes Alibi hatte.
    Ich konnte ihn zu Hause oder in seinem Büro töten. Zu Hause war es vielleicht besser. Das Morddezernat von Manhattan ist verdammt gründlich. Vielleicht war die Polizei von Westchester weniger auf Draht.
    Wie sollte ich ihn töten? Mit der Pistole oder mit einem Messer? Dem berüchtigten stumpfen Gegenstand? Oder sollte ich ihm mit bloßen Händen den Hals umdrehen? Ich versuchte mich zu erinnern, ob man auf dem Hals eines Menschen Fingerabdrücke hinterlassen konnte. Ich konnte es mir nicht recht vorstellen.
    Wieder begann ich zu zittern. Ich bestellte noch einmal einen doppelten Bourbon und kippte noch ein Bier hinterher. Dann ging ich zurück ins Hotel.

6
    Ich betrat das Selbstbedienungsrestaurant um neun Uhr. Das Mädchen an der Kasse gab mir eine Handvoll Fünfcentstücke, und ich wanderte herum und stellte mir an New Yorks beliebtesten Spielautomaten mein Frühstück zusammen. Ich belud das Tablett mit einem Glas Orangensaft, einer gefährlich aussehenden Schüssel mit Müsli, zwei heißen Würstchen und einer Tasse schwarzen Kaffee. Dann fand ich einen Tisch, der mir gute Sicht auf den Eingang gewährte, und machte mich über mein Frühstück her.
    Ich war bei der zweiten Tasse Kaffee, als sie auftauchte. Ich sah sie an, und sofort schwirrte mir der Kopf. Sie trug ein schlichtes blaugraues Sommerkleid, das vorn zugeknöpft war. Sie wirkte unschuldig und reizend, wirklich süß. Ich wartete darauf, dass sie an meinen Tisch gerannt kam und sich mir um den Hals warf.
    Aber sie war so gelassen, dass

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