Acacia 01 - Macht und Verrat
Gewissheit ihrer Gegenwart, zumal jetzt, da er im Begriff stand, die Hölle auf Erden zu entfachen.
Sein Onkel teilte den Stoff mit beiden Händen und trat ein. »Bist du bereit?«
»Ja.« Hanish beherrschte seine Stimme, so dass in ihr keine Unsicherheit zu vernehmen war. »Ich habe gerade diesem Singvogel gelauscht. Hast du ihn gehört? Er singt am Morgen und dann noch einmal abends. Sein Lied klingt … wie zerspringendes Kristall. Ich will damit sagen, es besitzt die Reinheit, die spröde Schönheit von zerspringendem Kristall, aber als Vogelsang in die Luft entsandt. Dergleichen habe ich noch nie gehört.«
»Unsere Vögel haben nicht viel, wovon sie singen könnten«, meinte Haleeven.
Hanish war gekleidet wie zu einem Maseret. Um den Oberkörper hatte er sich eine weiße Thalba gewickelt, die seiner Haltung etwas Starres verlieh. Die Zöpfe hatte er nach hinten gezogen und mit einer Schnur aus Ochsenleder umwickelt. Sein Messer steckte – genau wie das Haleevens – in einer waagrechten Gürtelscheide. Keiner der beiden Männer dachte an Schwerter oder an anderes herkömmliches Kriegsgerät. Haleeven hatte die Waffe des Tages bei sich, er trug sie zwischen Daumen und Zeigefinger geklemmt, ein silbernes Gehäuse, nicht größer als ein Finger.
»Soll ich das öffnen?«, fragte Haleeven. Als Hanish nicht verneinte, legte sein Onkel die kleine Schließe um und klappte den Deckel auf. Er neigte das Gehäuse so, dass sein Neffe hineinsehen konnte. Darin lag ein kleines Stück Stoff, von dem Metall umrahmt. Es war etwa eine Spanne lang und zweimal gefaltet. Das grobe Gewebe bestand aus dicken Fäden, ganz so wie das Gewand eines Mein-Edelmanns. Der Stoff war schwach gemustert, doch Flüssigkeiten waren darauf verkrustet und bildeten ein eigenes Muster. Hanish betrachtete es lange.
»Das hier hat meinen Großvater getötet«, sagte er.
»Lass es jetzt deinen Feind töten«, erwiderte Haleeven. Hanish streckte die Hand aus, fasste den Stoff mit den Fingerspitzen und schob ihn unter seine Thalba, in die Höhlung unter dem rechten Brustmuskel.
»Denk daran, die Schlacht um zwei Tage hinauszuschieben«, sagte Haleeven. »Vergiss nicht, dafür zu sorgen.«
Kurz darauf stand Hanish vor einem Halbmond dunkeläugiger Acacier. Alle waren in die Tracht ihres Landes gekleidet, in rot gesäumte Orangetöne, und trugen Panzerwesten, die wie polierte Fischschuppen funkelten. Einer der Acacier eröffnete das Treffen auf zeremonielle Art, indem er die Gegenwart des Schöpfers beschwor und die Namen früherer acacischer Heroen nannte. Das war mehr, als Hanish hinnehmen wollte.
»Wer von euch spricht für die Akaran?«, fiel er dem Acacier ins Wort.
»Ich«, antwortete ein junger Mann und trat vor. Er war ein stattlicher Edelmann, mit dem kräftigen Körperbau und der lockeren Haltung eines Schwertkämpfers. »Hephron Antalar.«
»Antalar? Ihr seid also kein Akaran? Ich habe erwartet, heute Aliver Akaran selbst anzutreffen. Weshalb ist er nicht hier?«
Hephron schien die Frage unangenehm zu sein, sie schien ihn zu verärgern. Unwillkürlich legte er die Hand an den Schwertknauf. »Ich habe die Ehre, für … für den König zu sprechen. Wir haben ihm versichert, dass Ihr es nicht wert seid, ihm gegenüberzutreten.«
Hanish hatte den Prinzen persönlich erwartet. Er hatte sich vorgestellt, ihn mit eigenen Augen zu erblicken und den jungen Mann mit seinen eigenen Fingern zu berühren. Rasch suchte er Haleevens Blick, eine so flüchtige Geste, dass niemand merken würde, dass die beiden Männer dabei stumme Zwiesprache hielten. Sein Onkel war offenkundig der Ansicht, er solle wie geplant vorgehen. Vielleicht war es ja gut so …
Hanish sah wieder Hephron an und verzog spöttisch die Lippen. »Dann sollt Ihr also anstelle Eures feigen Monarchen für die Vergehen der Akaran Rechenschaft ablegen? Was für ein seltsames Volk ihr seid, mit Anführern, die noch nicht einmal führen.«
»Ich lege keine Rechenschaft für die Vergehen der Akaran ab. Ich bin gekommen, um dafür Sorge zu tragen, dass Ihr für die Euren bestraft werdet. Grinst mich nicht an! Ich lasse Euch Euer grinsendes Maul mit Draht zunähen, ehe der morgige Tag um ist.«
Hanish deutete mit den Fingern auf sein Gesicht, eine Geste der Unschuld, die bestritt, dass seine Miene auch nur annähernd fröhlich sei.
Ein anderer Acacier stellte sich als Relos vor, Oberbefehlshaber der acacischen Streitkräfte. Er war hochgewachsen und knochig, sein kurz geschorenes
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