Acacia 01 - Macht und Verrat
seiner Streitmacht. Sie marschierten über nebelverhangenes Gelände. Als die Sonne über den Horizont lugte und die Bühne des kommenden Gemetzels beleuchtete, löste sich der bläuliche Dunst rasch auf. Wie er erwartet hatte, stellte sich ihnen kein Heer in den Weg. Unbehelligt marschierten sie über die Felder und die frisch gepflügten Ackerfurchen, über die geometrischen Rechtecke, die als Schlachtfeld ausersehen gewesen waren. Dies alles ließen sie hinter sich und marschierten ohne Halt zu machen zum Rand des acacischen Lagers. Niemand hielt sie auf, keine Soldatenreihen, keine Geschosse, keine schimmernden Rüstungen; nichts war von der gewaltigen Streitmacht zu sehen, die sie vor zwei Tagen erblickt hatten.
Stattdessen bot das Lager einen trostlosen Anblick. Die Kochfeuer vom Vorabend waren heruntergebrannt, und von der Glut stiegen dünne Rauchfahnen auf. Krähen, wie stets vom Gestank und dem Abfall so vieler Menschen angelockt, hatten sich in großer Zahl auf dem Boden, auf Zeltdächern und allen möglichen Gegenständen niedergelassen. In der Luft zogen Geier ihre Kreise, geduldig, gemächlich und zuversichtlich. Dies alles wirkte düster genug, doch das eigentliche Grauen der Szene ging von den Menschen aus.
Um die Kochfeuer, in den Zeltgassen und auf jedem freien Flecken Erde krümmten sich menschliche Leiber im Schmutz. So viele Leiber. Soldaten, Adjutanten, jeder und jede Einzelne der zahllosen Männer und Frauen, welche die acacische Streitmacht zu dem machten, was sie war. Sie wälzten sich auf dem Boden. Sie lagen bäuchlings in sich windender Intimität mit dem Erdboden da oder starrten in den Himmel, die Münder weit aufgerissen, die Gesichter schweißüberströmt und verzerrt vor Qual; die meisten waren am ganzen Körper mit roten Flecken von der Größe und Form von Kaulquappen übersät.
Hanish blieb stehen, um den Anblick auf sich wirken zu lassen. Das Schweigen, das über dem Lager lag, war gespenstisch, doch es war nicht still. Die Luft war von Geräuschen erfüllt. Es war nur so, dass es sich um ein so ungewöhnliches, gedämpftes Gewirr von Missklängen handelte, dass ihm nur schwer ein Sinn zu entnehmen war. Die Acacier ächzten und keuchten. Sie stöhnten und wimmerten und schnappten mit hungrig klaffenden Mündern nach Luft. Sie wanden sich vor Schmerzen. Nur sehr wenige nahmen die näher kommenden Kämpfer überhaupt wahr. Die meisten zeigten überhaupt keine Reaktion. Hanish kannte den Grund für ihre Qual, und in diesem Moment hätte er selbst nicht zu sagen gewusst, ob er sich darüber freute oder schämte, dass er sie ihnen beschert hatte.
Die Mein-Kämpfer konnten sich nicht länger beherrschen. Mit gezückten Schwertern stürmten sie an Hanish vorbei, die Speere in ihren Händen wogten beim Laufen. Die meisten Acacier lagen hilflos am Boden, wie Tausende von Fischen. Diese Verlockung war für die Mein zu groß. Sie schwärmten aus und erstachen die Acacier entweder mit dem Speer oder packten sie an den Haaren und schnitten ihnen die Kehle durch. Einige machten sich einen Spaß daraus, diejenigen Soldaten zu jagen, die sich noch auf den Beinen halten konnten, doch es waren nicht viele. Hanish selbst vergoss kein Blut. Er schritt inmitten des Gemetzels umher und beobachtete den Blutrausch seiner Männer mit dem kühlen Blick seiner grauen Augen. Er ließ die Nachricht verbreiten, er suche einen bestimmten Acacier und wolle nicht, dass dieser getötet werde, ehe er mit ihm gesprochen habe. Schließlich überbrachte ihm ein Soldat die erhoffte Meldung. Hanish fand ihn in einem großen, reich verzierten Zelt.
Hephron war nicht weit von seinem Feldbett entfernt zusammengebrochen. Er war nicht einmal vollständig bekleidet. Seine Augen waren weit aufgerissen und blinzelten nicht; Tränen hatten unzählige Spuren auf seinen Wangen hinterlassen. Die Stirn war schweißnass, bedeckt von riesigen Tropfen, sodass die Fliegen, die sich darauf niederließen, dies behutsam taten.
»Ach, Hephron... Ich hätte dich wirklich lieber so in Erinnerung behalten, wie du warst, nicht so, wie du jetzt bist. Mir ist deine Stärke nicht entgangen. Ebenso wenig dein Zorn. Vor beidem verneige ich mich und ehre dich. Deshalb möchte ich dir auch erklären, was geschehen ist. Du verstehst nichts von alldem, habe ich recht?«
Hanish kniete neben ihm nieder und verscheuchte die Fliegen. »Kennst du die Geschichte von Elenet und seinem ersten Versuch, mit der Sprache des Schöpfers selbst etwas zu
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