Acacia 01 - Macht und Verrat
sie regelmäßig über die neuesten Entwicklungen unterrichten. Weitere Nachrichten würden sie nicht erhalten. Auf Annehmlichkeiten wie erlesene Speisen oder Unterhaltung würden sie verzichten müssen, auf alles, was Aufmerksamkeit erregen könne. Auch wäre es unklug, die Unterstadt aufzusuchen. Sie würden ein schlichtes Leben führen, ganz anders als die uralte Opulenz von Acacia. Crenshal könne ihnen lediglich ein paar etwas zugige Räume eines Hauses anbieten, in dem die Bergwerksverwaltung untergebracht gewesen sei, sowie einfache Mahlzeiten und das Vergnügen seiner Gesellschaft. Das Letzte hatte ein Scherz sein sollen, der jedoch vollständig verpuffte.
Aliver setzte hinzu, er wünsche über alle Entwicklungen auf dem Laufenden gehalten zu werden. Sein Tonfall war hochmütig, als nehme er eine höhere Stellung ein als seine Geschwister. Mena blickte in die Runde und fragte sich, ob die anderen seine schlecht verhohlene Unsicherheit wohl bemerkten. Aliver fürchtete, vom Gang der Ereignisse abgeschnitten und von Entscheidungen ausgeschlossen zu werden. Er befand sich in einer Art Schwebezustand; mehr als der Prinz, der er noch vor Wochen gewesen war, aber gewiss nicht der König, der er zu werden hoffte. Mena hatte den Eindruck, dass er sich erst mit dieser Lage abfinden musste.
Er schlug einen freundlicheren Ton an, als er fragte: »Könnt Ihr uns Pferde beschaffen? Wir sollten uns auf der Insel umschauen. Ein bisschen frische Luft würde uns allen guttun.«
Dariel nahm den Vorschlag bereits begeistert auf, als der Bergwerksleiter ihn unterbrach. »Ich fürchte, ihr werdet die Insel nicht erforschen können. Es... nun, eure Sicherheit ist das Wichtigste, Prinz. Auf Dinge wie Ausritte müsst ihr einstweilen verzichten. Der Kanzler hat euch die Gründe bestimmt schon erklärt.«
»Und was ist mit dem Bergwerk?«, fragte Aliver. »Ich würde es gern in besichtigen. Das könnte ganz unauffällig vonstattengehen...«
»Besichtigen?« Anscheinend hatte Crenshal dieses Wort noch nie gehört. »Aber … junger Prinz, das ist ebenfalls ausgeschlossen. Dort wimmelt es von allem möglichen Abschaum. Für euch sind sie ohnehin nicht von Interesse. Wir werden für Zerstreuung im Hause sorgen. Ihr werdet euch bestimmt nicht langweilen, das verspreche ich euch.«
Dies erwies sich im Laufe der nächsten paar Tage jedoch als leeres Versprechen. Den Bergwerksleiter bekamen sie kaum zu Gesicht. Jeden Abend speiste er mit ihnen, war jedoch abgesehen davon den ganzen Tag über abwesend und überließ die Kinder sich selbst. Die Schreiber und Verwalter waren woanders untergebracht worden, die schlichten Gänge und Räume hallten wider vor Leere. Mena hatte noch keinen dieser Phantommenschen zu Gesicht bekommen, fand in ihrem Zimmer aber Spuren eines übereilten Aufbruchs: eine halb leere Flasche mit Duftöl neben der Waschschüssel, eine einzelne Socke unter dem Bett, einen abgeschnittenen Zehennagel auf dem Boden neben dem Toilettentisch.
An den ersten beiden Nachmittagen behalfen sie sich mit Brettspielen. Am dritten Tag boten ihnen Bücher aus der Sammlung von Crenshals Vorgänger – Crenshal selbst interessierte sich nicht für Literatur – eine gewisse Abwechslung, denn Dariel bat Aliver, ihnen aus einer Sammlung von Heldensagen vorzulesen. Der Knabe lauschte gebannt, doch Mena musste an ihren Vater denken. Corinn ging es vielleicht ähnlich. Sie erhob sich unvermittelt und ging ohne ein Wort der Erklärung davon. Seit ihrer Abreise aus Acacia hatte Corinn kaum etwas gesagt. Wenn sie sich äußerte, dann in knappem, sachlichem Tonfall, als nähme sie an ihren Umständen nichts Ungewöhnliches zur Kenntnis.
Am Nachmittag des dritten Tages hatten sie eine Unterhaltung, die einem vernünftigen Gespräch noch am nächsten kam. Corinn betrat den Raum, in dem sie sich tagsüber meistens aufhielten, und blickte sich schläfrig um. Es erstaunte Mena, dass Corinn zu ihr herübergeschwebt kam, sich neben sie aufs Sofa plumpsen ließ und gelangweilt die Luft ausstieß.
»Hast du schon gehört? Einer von den Soldaten hat gesagt, man habe zwei Männer festgenommen, die das Dorf verlassen wollten. Er hat gesagt, man hätte es ihnen ›gegeben‹. Was sie damit wohl gemeint haben?«
»Das bedeutet bestimmt, dass sie bestraft worden sind«, sagte Mena.
»Das weiß ich auch!«, fauchte Corinn. »Andauernd gibst du Plattheiten von dir. Aber wie bestraft? Das habe ich gefragt.«
»Ich gebe keine Plattheiten von mir«, verwahrte
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