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Acacia 01 - Macht und Verrat

Acacia 01 - Macht und Verrat

Titel: Acacia 01 - Macht und Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Anthony Durham
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Stockwerk um Stockwerk in die Tiefe führten. Was sich dort bewegte, war keine Sinnestäuschung. Es waren Menschen. Hunderte von Menschen. Sie waren so klein, dass sie nicht als Einzelwesen wahrnehmbar waren und nur durch ihre gemeinsame Bewegung Form annahmen, so wie eine Ameisenstraße aus der Entfernung wie ein einziges Lebewesen erscheint. Vielleicht waren es sogar mehr als hunderte. Eher tausende. Oder zehntausende. Und selbst das war womöglich nur ein Bruchteil der gesamten Anzahl. Mena wusste nicht, wie groß das Bergwerk war, wie viel davon ihrem Blick verborgen war.
    Sie schob sich langsam über den Rand und rutschte auf der anderen Seite auf eine Felsleiste hinunter. Dann kroch sie ein Stück auf dem Bauch, bis sie über deren Rand blicken konnte. Als sie den Kopf vorstreckte, erstarrte sie, verblüfft darüber, dass vielleicht zwanzig oder dreißig Fuß unter ihr ein Weg aus dem Fels geschnitten war. Darauf wimmelte es von Arbeitern. Sie schleppten Gegenstände auf den Schultern und Säcke auf dem Rücken, ihre Haut und ihre Kleider hatten die gleiche grauschwarze Farbe wie die Grube, vom Feuerschein rötlich überhaucht.
    In südlicher Richtung stand ein Turm, ein Stück weiter noch einer. Gedrungen und mächtig stand er da, mit einem Dach, das ein bisschen wie ein Pilz aussah und mit dem vergoldeten Wappen der Akaran verziert. Es war das Symbol ihrer Familie, dem Baum der Akaran, die Silhouette einer Akazie vor einer gelben Sonne. Es war ihr Symbol. Das Zeichen, das sie schon zahllose Male auf Tischplatten und Servietten gekritzelt hatte.
    Unter dem Dach waren Balkone, auf denen sich Gestalten bewegten. Am Südrand der Grube stand ein weiterer Wachturm. Der ganze Grubenrand war von Türmen gesäumt. Die Gestalten waren Wachposten, Aufseher. Viele waren mit Bogen ausgerüstet. Die Waffen hielten sie locker in der Hand, einen Pfeil schussbereit zwischen den Fingern. Eigentlich hätte sie das nicht wundern dürfen. Verbrecher mussten schließlich bewacht werden. Doch es waren so viele. Die Kette der Wachtürme reichte bis zum Horizont. Die winzigen Arbeiter hatten keine Möglichkeit zu fliehen, keine andere Wahl, als sich der endlosen Fron zu unterwerfen.
    Ganz von selbst wanderte ihr von der schieren Größe der Grube überforderter Blick zurück zu den dahinstolpernden Gestalten. Der Anblick hatte etwas Beunruhigendes. Sie sahen erschöpft aus, ließen die Köpfe hängen, sprachen nicht miteinander. Keiner blickte zum Himmel auf. Je länger sie hinschaute, desto deutlicher glaubte sie einzelne Merkmale ausmachen zu können, die Form von Gesichtern und von dünnem Fleisch bedeckte Schlüsselbeine. Das Grauenhafteste aber war nicht die schiere Anzahl der schlurfenden Gestalten, auch nicht ihre Niedergeschlagenheit oder ihre Kleinheit im Vergleich zu der Unternehmung, in die sie eingespannt waren. Es gab noch einen anderen Grund, weshalb die Reihe so ungleichmäßig wirkte. Unter den Arbeitern waren Kinder. Etwa jede dritte oder vierte Person war ein Kind, nicht älter als sie selbst, einige nicht größer als Dariel. Das war zu viel.
    Als sie wieder frische Nachtluft atmete, machte Mena ein paar Schritte in Richtung ihrer Unterkunft, dann setzte sie sich auf den Boden. Sie konnte nicht in das Anwesen zurückkehren, wenn ihr das Grauen noch ins Gesicht geschrieben stand. Sie hätte das alles nicht sehen sollen. Keiner von ihnen sollte davon erfahren. Offenbar war die Welt anders, als man ihr weisgemacht hatte. Sie dachte an die melancholischen Anwandlungen ihres Vaters. War das der Grund gewesen? Dies war ein acacisches Bergwerk. Das Bergwerk ihres Vaters. Es gehörte ihrer Familie. Diese Menschen, diese Kinder... sie arbeiteten für sie. Es gab tatsächlich Wesen, die Kinder aus ihren Betten raubten und damit die Feuer der Welt speisten. Sie taten es in ihrem Namen. Sie fragte sich, ob das Kindermädchen damals davon gewusst hatte. Hatte sie deshalb geglaubt, sie habe das Recht, sie zu ängstigen, sie zu quälen und ihr Albträume zu bereiten?
    Mena kehrte gerade noch rechtzeitig ins Haus zurück. Kaum war sie wieder in ihr Zimmer getreten und hatte den Umhang abgeworfen, als ein lautes Klopfen die frühmorgendliche Stille zerriss. Sie sollten umziehen, sagte eine Stimme, die sie nicht kannte, hinter der verschlossenen Tür. Eile sei vonnöten. »Prinzessin, Eure Sicherheit hängt davon ab.«
    Warum kannte sie die Stimme nicht? Es war keiner der Marah, die sie begleitet hatten, auch kein Bediensteter oder

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