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Acacia 01 - Macht und Verrat

Acacia 01 - Macht und Verrat

Titel: Acacia 01 - Macht und Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Anthony Durham
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irgendjemand, den sie aus Crenshals Haushalt kannte. Und doch war sie sich ziemlich sicher, dass der Sprecher es aufrichtig meinte. Ihre Sicherheit hing wirklich davon ab. Sie hob den Umhang auf, blickte sich im Zimmer um und überlegte, ob sie ihre Sachen packen lassen sollte. Sie würde denjenigen, der sie gerufen hatte, danach fragen, doch als sie die Tür öffnete, fühlte sie sich seltsam bereit, so hindurchzutreten, wie sie war, noch erhitzt von ihrem Ausflug, den Umhang über den Arm gelegt, bereit zum Aufbruch. Einfach bereit.
    Sie wusste nicht, dass sie mit dem Durchschreiten der Tür einen Teil ihres Lebens unwiederbringlich hinter sich ließ. Sie wusste nicht, dass sie ihre Brüder, ihre Schwester oder irgendjemanden, den sie bisher gekannt hatte, jahrelang nicht wiedersehen würde. Sie hätte nicht ahnen können, dass sie mit dem Überschreiten der Schwelle gleichsam von der Landkarte verschwinden, aus ihrer Haut schlüpfen, ihr Zuhause, ihre Heimat und ihren Namen hinter sich lassen und ein vollkommen neues Leben beginnen würde.

ZWEITES BUCH
    Exil

28

    Nur wenige, die ihn in der Blüte seiner Jahre erlebt hatten, hätten den Mann erkannt, der von dem Bergdorf Pelos aus den Pfad hinaufstieg. Der Geruch von Ziegen haftete ihm an, der Dunst von Pferdeschweiß hing in seiner Kleidung, unter den Fingernägeln hatte er Hühnerkot, und in seinem verfilzten Haar und seinem wirren Bart steckten Federn. Sein Atem stank nach Wein. Er versorgte die Tiere der Dorfschenke. Eigentlich war das eine Aufgabe für einen Bettler oder ein Kind, eine Arbeit, der er torkelnd nachgehen und zwischendurch immer wieder innehalten konnte, um an einem Weinschlauch zu saugen, dessen Inhalt die Tage verschwimmen ließ. Nur wenig an seiner Erscheinung ließ erkennen, wer er einmal gewesen war. Er benutzte nicht einmal mehr seinen Geburtsnamen. Irgendwann an jedem Tag murmelte er ihn laut vor sich hin. Er brauchte das, musste ihn in der Luft schweben hören, als einen schwachen Akt des Trotzes, doch das war nicht für die Ohren anderer bestimmt.
    An diesem Abend machte er an einem Felsvorsprung gleich neben dem Pfad Halt. Vor ihm erstreckten sich Felsgrate und Senken, vom aufgehenden Mond erhellt. Hier und da zogen Nebelschwaden durch die Täler; sie glichen geisterhaften Nackt-schnecken, die über den Waldboden krochen. An einem fernen Hang bewegte sich ein gelber Lichtpunkt. Bestimmt ein reisender Kaufmann, der zum Schutz vor Geistern seine Laterne entzündet hatte. Die Bergbewohner waren abergläubisch, sie fürchteten sich vor der Dunkelheit und den nächtlichen Erscheinungen. Der Mann hatte keine solchen Ängste. Ein Teil von ihm sehnte sich danach, in den Klauen eines Belranns zu sterben oder von einem Waldghul verschleppt zu werden. Beides wäre ein Schicksal, dachte er, etwas Bedeutenderes als sein tägliches Dasein. Er lebte nicht mehr für seine wachen Stunden. Sollte ihn ein Wolfsbär finden und ihm den Kopf abbeißen, würde er nur den Verlust seines Traumlebens bedauern.
    Gerade wollte er sich umdrehen, um den Weg zu seiner Hütte hinaufzustapfen, getrieben von der dumpfen Gier, die in letzter Zeit sein ganzes Sein ausmachte. Ehe er losging, murmelte er vor sich hin: »Leeka Alain. Ich bin Leeka Alain. Ich bin nicht tot. Ich bin nicht getötet worden.«
    Leeka Alain, einst General der widerspenstigsten Provinz Acacias. Und was war er jetzt? Seit mehreren Jahren schon hatte sein Leben kein Ziel. All die Entbehrungen im eisigen Norden, dass er als Einziger jenen ersten Angriff der Numrek überlebt hatte, sein Kampf gegen das Fieber und die einsame Wanderung auf den Spuren des feindlichen Heeres: Dies alles lag hinter ihm. Es hatte zu nichts geführt. Es war ein Irrtum gewesen zu glauben, er habe eine bedeutsame Aufgabe zu erfüllen. Vor neun Jahren war er auf dem Rücken des Nashorns vom Methalischen Rand zu Tal geritten und hatte geglaubt, unheilvolle Nachrichten zu überbringen.
    Er hatte ein Land vorgefunden, das bereits im Krieg lag, bereits von mehreren Seiten angegriffen wurde: Sein König war tot, Aushenia von den Numrek vernichtend geschlagen, die Candovier von Maeander zum Aufstand angestachelt worden, und Acacias Streitmacht war von einer Krankheit geschwächt, die sie zum leichten Opfer eines gnadenlosen Gemetzels machte. In vielerlei Hinsicht hatte Hanish den Sieg auf den Feldern vor Alecias Stadtmauer errungen. Leeka war an jenem Tag nicht dort gewesen, doch er war kurz danach eingetroffen und hatte einen

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