Acacia 01 - Macht und Verrat
Gesichtszüge, auch wenn sie anderes behaupteten. Selbst Maeander, Hanishs Bruder, hatte angeblich eine ganze Schar Kinder gezeugt. Mit der Zeit zogen immer mehr Mein-Frauen in den Süden, um Plätze als Ehefrauen und Konkubinen einzunehmen, was zur Folge hatte, dass im Leben sowohl im Palast als auch unter den gemeinen Soldaten, von denen die meisten ein Leben voll ungewohnter Annehmlichkeiten führten, immer mehr Normalität einkehrte.
Rhrenna war erst seit wenigen Monaten in Acacia, schien sich aber an den Palast gewöhnt zu haben. Zu ihren Vorzügen gehörte ihre Stimme, die hell und sanft und für die acacische Sprache besser geeignet war als die der meisten Mein-Frauen. »Hanish findet Euch schön«, sagte sie. Zum Schutz vor der Sonne trug sie einen Hut mit einer breiten Netzkrempe. Verschämt lugte sie durch den Schleier hindurch. »Aber das wisst Ihr bestimmt. Ihr versteht Männer besser als ich, nicht wahr?«
»Ich habe in meinem Leben bisher nur sehr wenig verstanden«, entgegnete Corinn. Sie hatte kein Interesse daran, über Liebesdinge oder Hofintrigen zu sprechen. Zum einen war es nicht ihr Hof. Zum anderen erinnerten sie solche Überlegungen nur an das, was sie verloren hatte. Trotzdem hörte sie sich fragen: »Wie kommt Ihr darauf, dass Hanish mich schön findet?«
»Das sieht doch jeder, Prinzessin«, sagte Rhrenna. »Wenn Ihr in seiner Nähe seid, kann er den Blick nicht von Euch lassen. Beim Sommerfest hat er fast nur Augen für Euch gehabt.«
Eine andere junge Frau, eine Jugendfreundin Rhrennas, pflichtete ihr bei. Sie drehte sich im Sattel zu den vier Frauen hinter ihr um und ließ sich von ihnen ihren Eindruck bestätigen.
Corinn wollte davon nichts hören. »Als ob ich an dem Abend jemanden beeindruckt hätte. So wie ich herumgestolpert bin … er musste mich einfach beachten, sonst hätte ich ihm die Füße zerquetscht. Mit euren Tänzen komme ich nicht zurecht.«
Rhrenna ließ sich das einen Moment durch den Kopf gehen, während sie sich den Bewegungen ihres Pferdes anpasste. »Ihr versteht es, anmutiger zu stolpern als die meisten anderen.«
Corinn versuchte mehrmals, Rhrennas Lobeshymnen abzuwehren, doch der jungen Frau gelang es stets, ihre Entgegnung mit begeisterten Sätzen zu kontern. Schließlich verstummte Corinn, unterlegen bei dem Versuch, sich selbst herabzusetzen. Und was sollte ihr derlei Anerkennung auch bedeuten? Sie war in den Jahren vor dem Krieg von Männern und Frauen bewundert worden, die kultivierter gewesen waren als diese Mädchen. Sie verstand ihre Lage besser als ihre Gefährtinnen und war sich nie ganz sicher, ob diese sich der Falschheit, die ihrem ganzen Zusammensein zugrunde lag, überhaupt bewusst waren. Sie wusste, dass sie eine Trophäe war und zum Vergnügen der Mein und zur Erbauung der neuen Untertanen des Königs zur Schau gestellt wurde. Seht nur, die Akaran-Prinzessin sitzt an unserem Tisch. Seht nur, wie sie sich zu benehmen weiß, wie schön und kultiviert sie ist. Seht sie an und erinnert euch, wie mächtig die Akaran waren, bevor sie geschlagen, gebändigt und gezähmt wurden. Das war die Botschaft, die Corinn durch ihre Anwesenheit tagtäglich vermittelte. Welch ein Elend es war! Ihr Leben war nicht beschwerlich; sie brauchte nicht zu arbeiten und genoss alle Annehmlichkeiten und fast die gleichen Privilegien wie früher. Und doch hatte sie ständig das Gefühl, abseitszustehen, ausgeliefert zu sein, das Eigentum anderer – selbst in Gesellschaft dieser jungen Frauen, die sie angeblich verehrten.
Sie waren dem Hafenfels inzwischen so nahe gekommen, dass der Wind den Geruch von Vogelkot heranwehte. Eine der Zofen machte eine Bemerkung, hielt sich die Nase zu und fragte, ob sie wirklich noch näher heranreiten sollten. Corinn presste die Lippen zusammen und ritt weiter; ihr war klar, wie reizbar sie auf jede Herabsetzung der Heimatinsel ihres Vaters reagierte, selbst wenn sie nur den Lebensgewohnheiten von Vögeln galt. Ihre Bewunderung für die Landschaft war nicht vorgetäuscht. Es war Hochsommer, und die Insel zeigte sich von ihrer farbenprächtigsten Seite. Das Gras auf den Hügeln war verdorrt und flammte in einem metallischen Gelb. Das Einzige, was fehlte, waren die grünen Kronen der Akazien. Im ersten Jahr nach Hanishs Sieg waren sie alle gefällt worden; ein Akt symbolischer Bosheit und noch etwas, das Corinn ihm niemals verzeihen würde.
Schon bald würden die ersten Dürrefeuer ausbrechen. Der schwarze Rauch würde Aasvögel
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