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Acacia 01 - Macht und Verrat

Acacia 01 - Macht und Verrat

Titel: Acacia 01 - Macht und Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Anthony Durham
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von einem Mann, wie all die Bettler, an denen er auf der Straße achtlos vorüberging. Wie hatte es dieser Greis geschafft, ihn auch nur zu berühren? Hatte er sich wirklich so weit von allem entfernt, was er einmal gewesen war?
    Der Alte schien seine Gedanken zu erraten. »Ich bin nicht so hinfällig, wie ich aussehe. Ihr auch nicht. In einem ehrenhaften Kampf hätte ich keine Chance gegen Euch gehabt. Was hier geschehen ist … lasst Euch dadurch nicht in Eurer Soldatenehre kränken.« Er schwieg einen Moment. »Seht mir ins Gesicht, Leeka. Sagt mir, ob Ihr mich erkennt. Vielleicht erinnert Ihr Euch, wir sind uns nämlich in einer anderen Zeit und an einem anderen Ort schon einmal begegnet. In einer anderen Welt, könnte man auch sagen.«
    Die Erkenntnis, dass er ihn tatsächlich erkannte, kam Leeka, als er die Worte aussprach. »Ihr seid der Kanzler … Thaddeus Clegg.«
    Der alte Mann lächelte. »Gut«, sagte er. »Es besteht also noch Hoffnung für Euch.«

29

    Doch, gab Corinn eines Nachmittags, als sie über den Serpentinenweg zum Hafenfels ritt, insgeheim zu, Mein-Frauen besaßen tatsächlich die Voraussetzungen für Schönheit. Man musste sich nur an ihre eckigen Gesichter gewöhnen. Sie hatten den gleichen Knochenbau und ein ähnliches Temperament wie die Männer, was an diesen energisch, stattlich und wie gemeißelt aussah, wirkte bei den Frauen ein wenig unpassend. Zumindest hatte Corinn dies in den letzten Jahren gedacht, die sie in Gesellschaft von Mein-Frauen verbracht hatte. Erst in letzter Zeit war ihr klar geworden, dass sie sich häufig mit den Frauen verglich. Wann dieser Gesinnungswandel eingesetzt hatte, vermochte sie nicht zu sagen, doch die Ausritte, die sie neuerdings in Gesellschaft junger Mein-Frauen unternahm, hatten dazu beigetragen, ihr ihre Empfindungen bewusst zu machen.
    Es begann als Befehl. Hanish Mein, so teilte ihr ein Bote mit, bitte Prinzessin Corinn, die schönen Nachmittage mit seiner Cousine Rhrenna und deren Gefolge von jungen Edelfrauen, Freundinnen und Zofen zu verbringen. Der Bote sagte bitten, doch beide wussten, dass befehlen eher passend gewesen wäre. Außerdem hatte der Bote sie Prinzessin genannt. Alle nannten sie Prinzessin, obwohl sie in Wirklichkeit eine Gefangene auf der Insel war, die einmal ihrem Vater gehört hatte. Derselbe Mann, der den Mord an ihrem Vater veranlasst und das acacische Reich und die Akaran-Familie vernichtet hatte, bereitete ihr ein nicht enden wollendes Purgatorium. Sie schritt durch dieselben Gänge wie zuvor. Sie hatte vom Palast den gleichen Ausblick auf die Unterstadt und das Meer. Häufig speiste sie abends am großen Tisch im Hauptsaal. Doch sie gehörte nicht mehr der Familie des Gastgebers an. Ein anderer Mann nahm den Platz ihres Vaters ein. Das Tischgebet wurde in einer fremden Sprache gesprochen, und es war die Bitte um den Segen einer bösartigen Kollektivkraft, die Corinn nicht verstand. Ihr Leben schwankte ständig zwischen Vergangenheit und Gegenwart, und die Grenzen verschwammen immer mehr und wurden von Erinnerungen überlagert. Sie war der einzige Mensch auf der Welt, der in solch einem prekären Zustand leben musste.
    Heute Nachmittag ritt Rhrenna auf einem Fuchs, den sie bestimmt passend zu ihrer Kleidung ausgewählt hatte. Sie trug eine Weste in Pastellblau und Gelbbraun, dazu einen Reitrock, der im Stehen beinahe wie ein Kleid wirkte, sich beim Aufsitzen aber teilte. Sie war ein blasses, schlankes Mädchen mit unregelmäßigen Gesichtszügen, die zu ihrem Glück insgesamt aber eine angenehme Wirkung hatten. Das Haar trug sie lang und auf eine Weise geflochten, die sich von der der Männer unterschied, was Corinn allerdings erst nach geraumer Zeit aufgefallen war.
    In den ersten Jahren der Besatzung hatten nur wenige Mein-Frauen Tahalia verlassen. Die Mein-Männer, so konnte man sagen, waren ihren Frauen gegenüber besitzergreifend und schützten sie nach Kräften. Die Mein hielten nichts davon, ihr Blut mit dem anderer Völker zu mischen, und kannten kaum eine größere Schande, als wenn eine ihrer Frauen einen Mischling zur Welt brachte. Als Frauen des eroberten Reiches plötzlich hellhäutige, grauäugige Kinder mit kantiger Gesichtsform gebaren, war das nicht viel besser. Auch diese Vermischung wurde nicht gern gesehen, ließ sich aber nicht vermeiden. So ausdauernd sie ihre eigenen Frauen auch rühmten, verkehrten viele Mein doch mit den Frauen anderer Völker. Offenbar gefielen ihnen deren Hautfarbe und

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