Acacia 01 - Macht und Verrat
außer der, die er sich durch sein Handeln verdienen konnte.
»Und ist er den Herausforderungen gerecht geworden?«, wollte Thaddeus wissen.
Sangae bejahte. Aliver habe es nie an Disziplin, Ehrgeiz oder Tapferkeit mangeln lassen. Er könne nicht sagen, was im Kopf des jungen Mannes vorgegangen sei, da dieser kaum etwas von sich preisgegeben habe, doch habe er in allen Dingen eine große Ernsthaftigkeit an den Tag gelegt. Vielleicht zu viel Ernst. Er müsse noch lernen zu lachen wie ein Talaye. Er habe bereits zusammen mit den jüngsten Männern seiner Altersgruppe sein erstes Tuvey-Band erhalten, was bedeutete, dass er an einem Geplänkel mit einem Nachbarstamm teilgenommen habe. Das trage er jetzt am Oberarm. Deshalb habe er das Recht, den Laryx zu jagen und – sollte er dabei Erfolg haben – seinen Platz als Mann diese Volkes einzunehmen, alt genug, um Grund und Boden zu besitzen, zu heiraten und bei den Beratungen neben den Ältesten zu sitzen.
»Es ist wichtig dazuzugehören«, meinte Sangae, »und Aliver gehört zu uns. Niemand in diesem Dorf würde etwas anderes sagen. Er hat hier Gefährten, Frauen, die mit ihm schlafen. Seine helle Haut fällt niemandem mehr auf. Unter Familienangehörigen spielen derlei Dinge keine Rolle. Er ist einer von uns.«
Thaddeus hörte eine Doppelbedeutung in Sangaes Äußerungen, eine gewisse vorwurfsvolle Schärfe. Ja, dachte er bei sich, es ist immer schwer, einen Sohn zu verlieren, selbst wenn es nur ein Adoptivsohn ist. Abermals dachte er an die Menschen, die er selbst verloren hatte, und fragte sich, woher es wohl kam, dass die Verluste einen Menschen stärker prägten als das, was ihm geblieben war.
»Ich weiß nicht, wie er Euch empfangen wird«, fuhr der Häuptling fort, »aber ich kann Euch versichern, dass er nicht vergessen hat, wieso er hierhergeschickt worden ist. Um die Wahrheit zu sagen, ich glaube, er denkt nur daran, was die Zukunft für ihn bereithält. Das macht ihn zornig, aber … so ist er nun einmal.«
»Was ist mit der Seuche?«
»Der Prinz ist daran erkrankt, wie die meisten Menschen meines Volkes. Aber er hat sie besiegt und keinen Schaden davongetragen.« Sangae schwieg einen Moment. Er wandte den Blick ab und beobachtete einen Vogel, der eine sonnenüberflutete Gasse entlanghüpfte. »Was werdet Ihr von ihm verlangen?«
»Ich verlange gar nichts. Sein Vater hat etwas von ihm verlangt, und es ist allein Alivers Entscheidung, wie er damit umgehen will. Dieser Laryx, ist das eine gefährliche Jagd?«
Sangae sah ihn wieder an. »Nur wenige Männer haben eine so schwere Prüfung bestanden.«
Wenn man einen Laryx jage, erklärte der Häuptling, werde man selbst zum Gejagten. Man reize das Tier zunächst, indem man das Nest suche, welches das Tier gerade bewohne. Der Jäger mache es unbewohnbar, indem er das Gras verstreue, sein Wasser darauf abschlage und sich darauf erleichtere. Anschließend warte er in der Nähe, bis das Tier auftauche, seine Witterung aufnehme und sich an die Verfolgung mache. Dann beginne die Jagd.
»Ihr müsst verstehen, ein Laryx ist ausgesprochen reizbar. Hat er erst einmal eine Witterung aufgenommen, gibt er die Verfolgung erst dann auf, wenn er seine Beute entweder zur Strecke gebracht hat oder vor Erschöpfung zusammenbricht. Der Jäger muss vor ihm weglaufen, aber dafür dicht genug vor ihm bleiben, dass die Bestie die Witterung nicht verliert. Aber nicht zu dicht! Ein verstauchter Knöchel, eine schlecht gewählte Route oder wenn man die eigene Ausdauer überschätzt … all das kann tödlich sein. Die einzige Möglichkeit, ein solches Tier zu erlegen, besteht darin, es zu ermüden und es dann mit allem anzugreifen, was man hat, und darauf zu hoffen, dass es genug ist. Sollte Aliver Erfolg haben, hat er körperliche und geistige Qualen durchgemacht, die man sich eigentlich nicht vorstellen kann. Stundenlang hat ein Dämon hinter ihm hergehechelt, und der Tod war nur einen Fehltritt entfernt. Dieser Herausforderung hätte er sich nicht stellen müssen. Aber er hat es getan, und seitdem bete ich, dass er bereit dafür war. Dabei sind schon viele Männer ums Leben gekommen, Thaddeus. Es könnte durchaus sein, dass Ihr nie Gelegenheit bekommt, ihn mir wegzunehmen. Solltet Ihr das Glück haben, in seine lebendigen Augen zu sehen, könnt Ihr sicher sein, dass er stark ist. Auf eine Art und Weise stark wie kein Akaran seit vielen Generationen.«
»Glaubt Ihr, er war bereit für diese Jagd?«
»Wir werden sehen«, erwiderte
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