Acacia 01 - Macht und Verrat
prallen Sonnenscheins war es erstaunlich kühl. Das war gut.
»Aliver jagt den Laryx«, sagte der Häuptling nach einer Weile. »Er ist seit zwei Wochen fort. So Billau will, wird er in Kürze zurückkehren. Aber wir sollten nicht davon reden. Es wäre nicht gut, den Geistertieren seine Absichten zu verraten. Bis zu seiner Rückkehr seid Ihr selbstverständlich mein Gast.« Sangae nahm eine Dattel aus der Schale, machte jedoch keine Anstalten, sie zu verzehren. »Neun Jahre. Neun Jahre ist es jetzt her, dass der Junge hierhergekommen ist. So lange, dass ich allmählich schon geglaubt habe, Ihr würdet nicht mehr auftauchen und Aliver wäre tatsächlich mein Sohn. Ihr wisst, ich habe keine anderen Kinder, und das ist mein Fluch.«
Thaddeus unterdrückte eine scharfe Erwiderung auf diese selbstmitleidige Äußerung. Es war besser, niemals ein Kind gehabt zu haben, als eins durch Verrat zu verlieren. Doch er wollte die Unterhaltung nicht in diese Richtung lenken. Stattdessen sagte er: »Die Mein haben Euch keine Schwierigkeiten gemacht?«
»Nein, nie«, antwortete Sangae. »Ich habe von ihnen gehört, aber sie anscheinend nicht von mir.« Er grinste. »Mein Ruhm ist nicht so groß, wie es mir vielleicht lieb wäre. Trinkt doch bitte.«
Thaddeus hob den Kürbis mit beiden Händen und trank in tiefen Zügen. Dann reichte er ihn dem Häuptling, der es ihm nachtat. »Dann war es gut, dass wir ihn hierhergeschickt haben. Hanish hat niemals aufgehört, nach den Akaran-Kindern zu suchen. Zumindest eines von Leodans Kindern ist so aufgewachsen, wie der König es sich gewünscht hat.«
Sangae meinte, von den anderen drei Akaran wisse er natürlich nichts. Aliver jedoch sei in der Tat den Vorstellungen des Königs gemäß aufgewachsen. Sein Beschützer habe ihn unauffällig von Kidnaban fortgeschafft. Sie seien nach Bocoum gesegelt und dort von Bord gegangen. Dann hätten sie sich den Kriegsflüchtlingen angeschlossen. Eine Zeitlang seien sie geritten und dann mit einer Kamelkarawane weitergezogen, und schließlich seien sie zu Fuß über die Ebenen bis nach Umae marschiert. Da sie nicht erkannt werden durften, habe die Reise viele Wochen gedauert, und bei seiner Ankunft sei der Prinz zornig, verwirrt und verbittert gewesen. Es habe Sangae erhebliche Mühe gekostet, Aliver davon zu überzeugen, dass sein Exil keine Niederlage sei. Der Konflikt sei noch nicht entschieden. Aliver war der Jüngste in einer Reihe großer Führer. Sangae habe ihn daran erinnert, dass das Blut uralter Helden durch seine Adern kreiste. Er habe Edifus und Tinhadin und die Hindernisse erwähnt, die sie hatten überwinden müssen, um an die Macht zu gelangen. Seien die Schwierigkeiten, denen sie sich gegenübersahen, nicht schier unüberwindlich gewesen? Und doch hätten sie es geschafft. Aliver werde es ebenfalls schaffen, versicherte ihm Sangae, er brauche nur Zeit, um zu dem Mann heranzuwachsen, der er würde sein müssen.
Sangae faltete seine großen Hände über einem Knie. »Das habe ich ihm gesagt. Er hat mir des Königs Vertrauten zur Aufbewahrung gegeben, und ich habe das Schwert all die Jahre über versteckt. Er hat hier ein gutes Leben gehabt, hat genauso gelebt wie ein Talayen. Das ist die Wahrheit. Und Ihr solltet wissen, dass er kein Kind mehr ist. Ganz im Gegenteil.«
»Erzählt mir von seinem Leben hier.«
In den neun Jahren seines Exils, berichtete Sangae, habe Aliver nicht anders gelebt als der Sohn einer edlen talayischen Kriegerfamilie. Er habe die Kriegskunst des Landes erlernt, sich im Umgang mit dem Speer und im Ringkampf geübt und sogar seinen Körper zu dem eines Läufers gestählt. Zunächst sei ihm das gewiss sehr schwer gefallen. Zwar sei er mit den klassischen Figuren durchaus vertraut gewesen, doch das habe ihn nicht auf eine talayische Kriegerausbildung vorbereitet. Selbst der Speerkampf sei etwas ganz anderes. Im Unterschied zu den Figuren erlaube die talayische Kampfweise keine Bewegungen, die nicht unbedingt notwendig seien. Vom ersten Tag an, da Aliver einen talayischen Speer in Händen gehalten hatte, habe man ihn gelehrt, dass diese Waffe zum Töten gedacht sei. Man habe ihn die unzähligen Möglichkeiten gelehrt, dieses Ziel mit ihr zu erreichen, ohne Mühe und Zeit zu verschwenden. Er habe vor immer neuen Herausforderungen gestanden, bei der Ausbildung zum Krieger, durch das unwirtliche Land selbst, beim Erlernen der Sprache und der Gebräuche und durch die Tatsache, dass er hier keine Stellung einnahm,
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