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Acacia 01 - Macht und Verrat

Acacia 01 - Macht und Verrat

Titel: Acacia 01 - Macht und Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Anthony Durham
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hatten sich mit Jagdtrophäen geschmückt, die in Wahrheit von ihren Dienern erlegt worden waren. Nach einer Weile kam er jedoch zu dem Schluss, dass Alivers Verlegenheit eine andere Ursache haben müsse. Er ließ Sangae ausrichten, er wolle Alivers Heimkehr nicht stören und bitte darum, dass man ihn erst später zu ihm schicken solle, wenn der Trubel sich gelegt habe.
    Als sie sich schließlich gegenüberstanden, verlief nichts so, wie Thaddeus erwartet hatte. Monate zuvor hatte der Kanzler, wenn er sich diese Begegnung ausmalte, gedacht, er würde Aliver mit einer Umarmung begrüßen. Er würde den Jungen an sich ziehen und jegliche Entfernung zwischen ihnen überbrücken, alle Vorwürfe einfach wegwischen. Sie würden einander sofort wieder nahe sein. Eine Berührung würde ausreichen, und alles wäre wieder an seinem Platz. Doch als Aliver die letzten Schritte zwischen ihnen zurücklegte, wusste Thaddeus, dass dies eine eitle Phantasie gewesen war. »Sei gegrüßt, Aliver«, sagte er. Er war erleichtert, dass er sich in der Gewalt hatte, wenngleich seine Selbstbeherrschung brüchig geworden war. »Ich komme, um dir deine Bestimmung ins Gedächtnis zu rufen. Und ich komme im richtigen Augenblick. Wie ich sehe, hast du ein Ungeheuer getötet. Meinen Glückwunsch. Dein Vater wäre stolz auf dich gewesen.«
    Wie merkwürdig, dachte Thaddeus, dass so viel von dem Knaben in den Gesichtszügen des Mannes überdauert hatte – im Schnitt der Augen, in der Linie der Oberlippe und in der Kopfform. Dennoch war es auch das Gesicht eines Fremden. Ihn anzustarren war, als lausche er einem Misston, der in ein vertrautes Lied eingewoben war. Alle Weichheit war verschwunden, wenngleich dieser Eindruck nicht nur auf seine scharf gemeißelten Gesichtszüge zurückzuführen war, sondern auch auf sein ernstes Auftreten. War das Trotz, was da in seinen Augen aufflammte? War es Zorn? Überraschung oder Enttäuschung? Thaddeus vermochte es nicht zu sagen, doch er hielt dem Blick des schweigenden jungen Mannes stand und versuchte, ihn zu ergründen.
    »Hast du das Tier wirklich eigenhändig erlegt?«
    Als der Prinz endlich antwortete, war ein leichter talayischer Akzent in seinem Acacisch zu vernehmen, wenngleich er seine Muttersprache noch immer flüssig beherrschte. »Ich habe viel gelernt. Du bist also nicht tot?«
    Das war nicht die Begrüßung, die Thaddeus sich erhofft hatte. »Bitte setz dich«, sagte er. Die Worte waren heraus, ehe er darüber nachdenken konnte, doch er war froh darüber. Er wirkte noch immer gelassen, das wusste er. Er strahlte noch immer eine gewisse Autorität aus. Er wartete, bis Aliver mit gekreuzten Beinen Platz genommen hatte, den Rücken so kerzengerade wie ein Brett.
    Thaddeus nahm ein Schreiben von einem niedrigen Tisch vor ihm. »Fangen wir hiermit an, Prinz. Lies das. Es ist wichtig, dass du das tust.«
    »Du kennst den Inhalt?«
    Thaddeus nickte. »Aber ich bin der Einzige.«
    »Das ist nicht die Handschrift meines Vaters«, meinte Aliver, nachdem er einen kurzen Blick auf die Worte geworfen hatte.
    »Es ist meine Handschrift, doch es sind die Worte deines Vaters. Lies und urteile selbst.«
    Der junge Mann neigte den Kopf über das Dokument. Sein Blick wanderte nach unten, wieder nach oben und erneut nach unten. Thaddeus schaute weg. Es schickte sich nicht, einen anderen Menschen beim Lesen zu beobachten. Außerdem kannte er den Wortlaut des Schriftstücks auswendig. Er wusste, auf welche Weise Leodan seinem Erstgeborenen seine Liebe übermittelt hatte. Um die Intimität des Moments nicht zu stören, versuchte er, nicht daran zu denken. Allerdings gelang es ihm nicht, die Erinnerung an Leodans letzte Worte zu verdrängen, denn daran würde er anknüpfen müssen, wenn der Prinz zu ihm aufblickte.
    »Das kann unmöglich ernst gemeint sein«, sagte Aliver. Er hatte aufgehört zu lesen, blickte jedoch weiterhin unverwandt auf das Schreiben.
    »Es ist alles ernst gemeint. Was genau meinst du?«
    Der junge Mann schnippte gegen das Papier, um anzudeuten, dass er das ganze Schriftstück anzweifele. »Dieses Gerede von den Santoth, den Gottessprechern … Das kann unmöglich ernst gemeint sein. Wenn mein Vater mir das sagen wollte, muss er dem Tod schon sehr nahe gewesen sein. Er konnte nicht mehr klar denken. Hör dir das an. Mein Sohn « – respektlos tat er so, als ob er zitiere -, » jetzt, da du erwachsen bist, ist es an der Zeit, die Welt zu retten … Und dann fordert er mich auf, das zu tun, indem

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