Acacia 01 - Macht und Verrat
stummen Gewebe der Welt, der bewegten Luft und den Wesen eigen war, die sich über den Erdboden bewegten. Einmal, als er durch eine Landschaft mit großen Kratern kam, hatte er den Eindruck, der Himmel sei Teil einer riesigen Schüssel, durch die er rannte. Über ihm bildeten sich brodelnde Wolken, wie er sie noch nie gesehen hatte. Sie waren anders als gewöhnliche Wolken. Es war, als seien sie an diesem speziellen Ort gefangen und könnten sich nur unablässig wandeln, aber nicht weiterwandern.
Solche Momente kamen ihm bedeutsam vor. Allerdings erkannte er kein prophetisches Zeichen in ihnen. Die Bedeutung entsprang dem Vorgang des Betrachtens, dem Wahrnehmen mit weit geöffneten, aufmerksamen Augen. In seiner Jugend hatte er nicht zu denen gehört, die sich an Sonnenuntergängen und Landschaften erfreuten oder dem Herbstlaub auf dem Festland besondere Aufmerksamkeit schenkten. In dieser Hinsicht hatte er sich vollkommen verändert.
Mitten in der vierten Nacht seines Alleinseins erwachte Aliver und hatte das Gefühl, ein Traum habe ihn geweckt. Als Kelis die Geschichte von dem Träumer erzählt hatte, der von seinem Vater daran gehindert worden war, seinen eigenen Weg zu beschreiten … da hatte er von sich selbst gesprochen. Kelis war der Träumer gewesen, dem seine Bestimmung vorenthalten worden war. Er hatte nie von anderen bemitleidet werden wollen. Das war auch nicht seine Absicht gewesen, als er die Geschichte erzählt hatte, das wusste Aliver. Warum hatte er es nicht gemerkt und etwas gesagt?
Später in der Nacht träumte er seinerseits und dachte während des ganzen folgenden Tages über die Unterhaltungen nach, auf die der Traum zurückging. In der Woche, als er jeden Nachmittag mit Thaddeus zusammengetroffen war, hatten sie nicht nur über die Herausforderungen gesprochen, die ihn erwarteten. Der alte Mann hatte sein Gewissen erleichtert. Er hatte von Alivers Großvater erzählt, der Hanish Mein zufolge Thaddeus’ Frau und sein Kind getötet hatte. Ja, hatte Thaddeus gesagt, obwohl die Kunde von Hanish gekommen sei, habe er geglaubt, dass Gridulan seine Familie habe ermorden lassen. Deshalb habe er sich rächen wollen. Einen kurzen Moment lang habe er die Akaran verraten.
Aliver hatte kaum etwas erwidern können, weder mit neu entflammtem Zorn noch mit dem Verständnis, das der alte Mann offenbar so sehr ersehnte. Er fühlte sich überfordert. Er wusste nicht, ob er ihn dafür hassen sollte, dass er sich an Hanish Meins Komplott beteiligt hatte, ob er sich für den Verrat, den seine eigene Familie begangen hatte, entschuldigen oder ob er Thaddeus danken sollte, weil er ihn und seine Geschwister gerettet hatte.
Im Verlauf dieser Unterhaltungen hatte der frühere Kanzler ihm das ganze komplizierte Geflecht von Verbrechen enthüllt, das die Welt in Wahrheit zusammenhielt. So schmerzvoll das alles auch war, war Aliver ihm dennoch dankbar, endlich Klarheit zu erhalten. Stets hatte er das Unausgesprochene gefürchtet, das Unerklärte. Er hatte Worte wie Quote gehört, Geflüster über die Lothan Aklun, doch es war ihm nie gelungen, etwas Genaues in Erfahrung zu bringen. Jetzt jedoch bekam er alles zu hören, was Thaddeus ihm berichten konnte. Acacia war ein Sklavenreich. Es trieb Menschenhandel, sein Wohlstand gründete auf Zwangsarbeit. Das Reich verbreitete Drogen, um das Volk zu unterdrücken. Die Akaran waren nicht die gütigen Herrscher, als die man sie vor ihm immer dargestellt hatte. Doch was hatte all das für ihn zu bedeuten? Konnte er sicher sein, dass eine neue Akaran-Herrschaft besser sein würde als die Hanish Meins?
Allmählich wandelte sich die Landschaft. Sie wurde noch trockener, und er lief durch eine Gegend mit rissigem Boden. Das spärliche Gras war so stark ausgebleicht, dass es fast silbrig wirkte und einen scharfen Kontrast zu den Haufen aus schwarzem Vulkangestein bildete, die dem Kot urzeitlicher Geschöpfe ähnelten. Aliver war sich nicht sicher, ob er selbst auf den Vergleich gekommen war oder ihn irgendwo aufgeschnappt hatte. Er glaubte, sich vage an so etwas zu erinnern und sogar daran, zugesehen zu haben, wie die Tiere auf ihren großen Beinen auf den Horizont zuwanderten, um sich eine neue Heimat zu suchen. Zwischen den Felsen wuchsen vereinzelt Akazien, verkümmerte und verkrümmte Exemplare. Es waren Urahnen ihrer Art; vor geraumer Zeit hier zurückgelassen, standen sie noch immer, die Arme in unbeachtetem Flehen erhoben.
Spuren von Menschen fand er nicht. Hier gab es
Weitere Kostenlose Bücher