Acacia 01 - Macht und Verrat
…«
Mena schnitt ihm das Wort ab, indem sie aufsprang. »Was Euch fehlt, wird die Göttin Euch beschaffen. Kommt mit.«
Kurz darauf stand Mena mit ausgestreckten Armen in einem Lagerraum an der Rückseite ihres Hauses, wo Licht durchs Wand- und Deckenstroh fiel und Staubkörner in den Sonnenstrahlen tanzten. In ihren Händen ruhte das Schwert, mit dem sie vor neun Jahren ans Ufer von Vumu geschwommen war. Ein Teil der Gravuren am Griff war mit einer dünnen Rostschicht bedeckt. Es besaß nicht den Glanz, den es hätte haben sollen, trotzdem barg die kunstvolle Verarbeitung viel Schönheit.
»Das ist das Einzige, was ich aus Acacia mitgebracht habe«, sagte Mena schließlich. »Es wollte mich nicht loslassen. Die Priester haben nicht gewagt, es mir wegzunehmen. Es muss ihnen wie eine Art Zauberbann erschienen sein. Solange ich es versteckt hielt, durfte ich es behalten, und sie haben seitdem nicht mehr darüber gesprochen. Kennt Ihr diese Waffe? Ihresgleichen, meine ich.«
Melios Augen antworteten, bevor sein Nicken es tat. »Das ist ein Marah-Schwert. Ich hatte früher ein ganz ähnliches.«
Mena packte das Heft und zog die Klinge aus der Scheide. Das Geräusch, das damit einherging, klang in der Stille absurd laut, ein Scharren, das zu einem Singen anschwoll, als das Schwert die Luft durchschnitt.
Melio trat zurück und sagte: »Ich dachte, es wäre Euer Schicksal, Maeben zu sein.«
»Wieso weicht Ihr vor mir zurück? Ihr seid hergekommen und habt mich gefunden, wisst Ihr das nicht mehr?«
»Doch, aber …«
»Vielleicht bin ich nicht so, wie Ihr erwartet hattet, und das, worum ich Euch jetzt bitte, überrascht Euch vielleicht auch. Na und? Das Leben hat Euch doch schon öfter Überraschungen beschert.«
Darauf fiel ihm keine passende Entgegnung ein. »Die Priester werden …«
»Die haben damit nichts zu schaffen!«
Melios gerunzelte Stirn besagte deutlich, dass er Zweifel hegte an dieser Behauptung. Bevor er sie jedoch in Worte kleiden konnte, fuhr Mena fort: »Um die Priester werde ich mich kümmern. Sie brauchen Euch nicht zu scheren. Habt Ihr noch andere Ausreden?«
Melio wirkte ratlos, er konnte nicht zurück, wusste jedoch auch nicht, wie er weitermachen sollte. Er blickte sich zu der Tür um, durch die sie den Lagerraum betreten hatten, als könne er den Rückzug antreten und wieder auf den sicheren Boden gelangen, auf dem er sich soeben noch befunden hatte. Mena erkundigte sich ungeduldig, was die Erste Figur sei. Edifus bei Carni, antwortete er. Ob es eine Schwertfigur sei? Ja, natürlich, antwortete er. Die meisten Figuren würden mit dem Schwert ausgeführt.
»Zeigt sie mir!«, befahl Mena und warf ihm ohne Vorwarnung die Schwertscheide zu. Er fing sie geschickt auf. Gleich darauf trat sie mit dem Schwert in der Hand in die Mitte des Raums. Mit dem Fuß schob sie ein paar Kisten aus dem Weg. Es war nicht das erste Mal, dass sie das Schwert aus der Scheide gezogen und es geschwungen hatte. Im Laufe der Jahre war sie oft hier gewesen. Es war nicht mehr gewesen als eine Probe ihrer wachsenden Körperkraft, oder jedenfalls hatte sie dies geglaubt. Jetzt schien es ihr, als habe ein Teil von ihr das Bedürfnis verspürt, die Waffe zu berühren und sich daran zu erinnern, dass sie es nicht gänzlich vergessen hatte. Da sie es oft in den Fingern gehalten hatte, wusste sie sehr gut, wie es am besten in ihrer Hand lag. Jetzt jedoch hielt sie die Waffe absichtlich linkisch; einen Finger hatte sie über das Stichblatt gehakt und das Handgelenk gebogen, als wäre die Klinge zu schwer für sie. Die Spitze zog eine kurze, zackige Furche über den Boden.
Für einen Schwertkämpfer war das kein erfreulicher Anblick. Melio konnte nicht anders, als ihre Handhaltung zu korrigieren, genau wie sie es erwartet hatte. Das war natürlich erst der Anfang. Er zeigte ihr, wie sie die Füße setzen musste, machte die richtige Körperhaltung vor. Er nannte ihr die Bezeichnungen für die verschiedenen Teile des Schwertes und erklärte deren Funktion. Innerhalb weniger Minuten hatte sich sein Widerstand nahezu verflüchtigt.
Er erklärte ihr, Edifus habe eigenhändig gegen den Besten der Gaquan gekämpft, ein Stamm, der die Gradthische Lücke kontrollierte, wo ein Bergpass Aushenia und die Mein-Hochebene miteinander verband. Der Anlass des Duells sei nicht überliefert, der eigentliche Kampf jedoch sei bis in die kleinsten Details aufgezeichnet worden. Melio hatte die Figur noch nie einem völligen Anfänger
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