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Acacia 01 - Macht und Verrat

Acacia 01 - Macht und Verrat

Titel: Acacia 01 - Macht und Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Anthony Durham
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einer gewöhnlichen Lebensspanne aus freien Stücken gestorben war. Das war nicht der Zauberer, den sie gekannt hatten, der Mann, der die Arme ausgestreckt hatte, um die ganze Welt zu umschlingen. Ebenso schwer fiel es ihnen, sich damit abzufinden, dass die direkten Nachfahren des Zauberers die Gottessprache verlernt hatten. Wie war es möglich, dass sie nichts von Das Lied von Elenet wussten? Wie konnte es sein, dass dieses Wissen ausgelöscht war? Aliver spürte die Angst, die hinter diesen Fragen pulsierte und konnte fühlen, dass sie nicht alles davon glaubten. Ungeachtet ihres hohen Alters und ihrer großen Weisheit waren die Santoth wie alle Wesen den Bedingungen des Lebens unterworfen. Sie wussten nicht, was die Zukunft für sie bereithielt, und verspürten angesichts von Ungewissheit die gleiche Furcht wie gewöhnliche Menschen.
    Allerdings boten sie Aliver mehr, als sie von ihm nahmen. Vielleicht hatten sie nichts über die Ereignisse der letzten Jahrhunderte gewusst, dafür aber besaßen sie ein umfangreiches Wissen über die ferne Zeit, die sie geformt hatte, und all das, was vorher gewesen war. Sie nährten Aliver mit Geschichte und Überlieferung. Was sie ihm von den Vergeltungskriegen berichteten, erschütterte sein bisheriges Verständnis der Gründungszeit der Dynastie von Grund auf. Sie sprachen über Edifus, Tinhadin und Hauchmein, als wären sie ihnen erst Tags zuvor begegnet. Sie berichteten von Schlachten und Zweikämpfen, die nicht in den klassischen Figuren erhalten waren. Sie fütterten ihn mit Wissen.
    Nur sehr wenig von dem, was er über das Handeln der Menschen erfuhr, spiegelte die hehren Ideale und die bodenlose Bosheit wider, die, wie man ihn gelehrt hatte, allen großen Kämpfen zugrunde lag. Das hatte etwas Tröstendes. Endlich begriff er, was es mit dem Wesen der Welt und den Verbrechen der Menschen, die sie formten, auf sich hatte. Es gab eine Wahrheit, einen bestimmten Verlauf der Geschichte. Es war möglich, die Ereignisse zu verstehen, allerdings nur dann, wenn man sie vorurteilsfrei betrachtete und darauf verzichtete, ihnen bestimmte Bedeutungen aufzuzwingen, sie zu bewerten und zu erklären. Die Santoth taten nichts dergleichen. Sie unterbreiteten ihm die Fakten und verzichteten darauf, die ihnen zugrunde liegenden Verbrechen und das von ihnen verursachte Leid zu bewerten.
    Meistens fand der Austausch mit einem Kollektivbewusstsein statt, dem sich immer wieder andere Stimmen anschlossen. Doch hin und wieder kam es vor, dass er neben dem Santoth saß, der sich als Erster mit ihm unterhalten hatte. Er hieß Nualo, obwohl es eigentlich keinen Grund gab, ihn durch einen Namen hervorzuheben. Wenn Aliver einen Gedanken an ihn richtete, erreichte er ihn auch; wenn ein Gedanke von Nualo kam, spürte Aliver, von wem er stammte.
    Irgendwann – ob es Tag oder Nacht war, ob seit seiner Ankunft eine Woche oder ein Jahr verstrichen war, vermochte Aliver nicht zu sagen – erklärte Nualo, er habe soeben einen Fehler in Alivers Weltsicht bemerkt. Es ging um die Geschichte von Bashar und Cashen.
    Die Geschichte, die jedes acacische Kind kannte, handelte von zwei Königsbrüdern, denen es nicht gelungen war, sich die Macht zu teilen, und die deshalb zu Feinden wurden. Sie kämpften im Gebirge, und bisweilen, bei großen Unwettern, erwachte ihr Zorn von neuem, und man konnte das donnernde Kampfgetöse hören. Diese Geschichte, sagte Nualo, berge eine Wahrheit in sich, die Aliver kennen solle.
    Es gab keinen Bashar, sagte er. Es gab keinen Cashen.
    Allerdings gab es zwei Völker: die Basharu und die Cularashen. In der fernen Vergangenheit gab es zwei talayische Nationen. Das war so lange her, dass niemand die Jahre zählen konnte. Sie hatten eine gemeinsame Wurzel, entwickelten sich aber unterschiedlich und glaubten, sie seien völlig verschieden voneinander. Als die beiden Länder wohlhabend wurden und ihre Bevölkerung zunahm, lernten sie, was Stolz bedeutet. Die Basharu glaubten, sie seien von Gott gesegnet. Die Cularashen nannten dies ketzerisch, denn sie hielten sich ihrerseits für Gottes Günstlinge. Beide Völker fanden alle möglichen Beweise für ihre jeweilige Sichtweise: in den Wohltaten, die der Schöpfer ihnen gewährte, in einer üppigen Ernte, in den Krankheiten, mit denen ihre Nachbarn geschlagen wurden, in der Sonne, die ihr eigenes Getreide wachsen ließ, während das der Nachbarn von Überschwemmungen vernichtet wurde. Nicht nur jedes Jahr, sondern jeder Monat, jeder Tag und

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