Acacia 01 - Macht und Verrat
ihn, zu mehreren Kreisen gestaffelt, ein versteinertes Gesicht hinter dem anderen, ein Publikum, das ihn an die Eindrücke des ersten Tages erinnerte. Erst nach und nach begriff Aliver, dass es dafür einen bestimmten Anlass gab. Sie hatten ihn bei sich aufgenommen. Sie hatten gewartet. Sie hatten gelernt und ihr Wissen mit ihm geteilt. Jetzt wollten sie etwas von ihm.
Führt uns in die Welt zurück , sagten sie mit einer Stimme, die ihrer aller Stimmen in sich vereinigte. Befreit uns .
Sie versicherten ihm, er sei als Einziger dazu imstande. Er allein – der erstgeborene Sohn der männlichen Linie von Tinhadins Geschlecht – könne den Fluch von ihnen nehmen, der sie vom Rest der Welt trennte. So hatte Tinhadin die Magie gewirkt. Es sei eine starke Magie, doch Elenet selbst habe gesagt, jeder Zauber lasse sich brechen. Er habe gewusst, dass die Menschen stets Fehler begingen, wenn sie die Sprache des Schöpfers gebrauchten. Die Fehler wären vielleicht nicht gleich offensichtlich und die Folgen träten erst nach Jahrhunderten zu Tage, doch irgendwann zeigten sie sich. Das habe auch für Tinhadin gegolten, selbst wenn er andere Angehörige seines Ordens deswegen gemaßregelt habe.
Es gibt keinen Zauber , sagten die Santoth, der nicht rückgängig gemacht werden kann. Es gibt immer eine Tür, die zurückführt und niemals zufällt. Ihr seid diese Tür und braucht nur die richtigen Worte zu sprechen.
Was für Worte? , fragte Aliver.
Darauf jedoch wussten die Santoth keine Antwort. Aliver musste es allein herausfinden. Sie konnten ihn nicht einmal lehren, denn ihre Gottessprache war im Laufe der Zeit so verfälscht worden, dass nichts so herauskam, wie es gemeint war.
Ich kenne die Sprache des Schöpfers nicht , sagte Aliver nicht zum ersten Mal. Von Elenets Buch habe ich erst durch euch erfahren. Man hat mich kein einziges Wort der Schöpfungssprache gelehrt. Es tut mir leid, aber ich kann euch nicht helfen .
Sie verhehlten ihre Enttäuschung nicht. Warum seid Ihr dann zu uns gekommen? Warum habt Ihr uns aus unserem Schlummer geweckt?
Ja, warum? Die irdischen Jahre, die in die Gegenwart gemündet waren, hatte er beinahe vergessen. Es kostete ihn einige Mühe, sich wieder auf den Anlass seiner Suche zu besinnen. Doch als er es versuchte, fiel ihm alles wieder ein. Er hatte sie gesucht, eine Suche voller Bedeutung, mit einem Zweck, der ihm wie eine Strafe um den Hals gehangen hatte. Es gab eine Welt der Menschen – von denen ihm viele nahestanden -, die in einem gewaltigen Kampf begriffen war. Er hatte Unterstützung gesucht, keine Zuflucht, keine Aufnahme bei den Verbannten, kein Vergessen. Er hatte die Santoth fragen wollen, was sie tun könnten, um eine Familie – und eine Welt – zu retten, die sie vertrieben hatte.
Dies alles übermittelte er den Zauberern. Es strömte in die Luft hinaus und durchdrang den lautlosen, fließenden Austausch, der ihm inzwischen ganz natürlich vorkam.
Ihr verlangt Unmögliches , sagten sie.
Mit euren Fähigkeiten könntet ihr viel ausrichten. Davon bin ich überzeugt … Ich … ich erlaube euch, von hier fortzugehen und in die Welt zurückzukehren.
Darüber mussten sie nachdenken. Sie räumten ein, dass es ihnen gefallen würde, in den Norden zu gehen. Solange sie jedoch Tinhadins Fluch unterworfen wären, könnten sie nicht wie gewöhnliche Menschen leben. Sie wären wandelnde Gespenster in einer Welt, der sie nicht richtig angehörten. Außerdem könnten sie ihm nicht so helfen, wie er es sich wünsche.
Ihr wollt Krieg führen.
Jetzt war es Aliver, der zögerte. Sie hatten es so simpel ausgedrückt. Doch es traf zu – oder jedenfalls fast. Er wünschte sich keinen Krieg, doch eine Schlacht stand bevor. Jetzt, wo er sich ganz und gar daran erinnerte, begriff er, dass sein ganzes Leben auf den Krieg zugeführt hatte. Auf einen schrecklichen Krieg. Auf eine Auseinandersetzung, die ihm entweder die Freiheit bringen oder ihn vernichten würde. Er hatte keine andere Wahl, als seine Rolle zu spielen. Schon bald würde er in die Welt zurückkehren müssen und … Ja, ich werde Krieg gegen meine Feinde führen. Beinahe hätte er die Worte »ehrenhaft«, »edel« oder »gerecht« gebraucht, denn das war die Art von Krieg, die er führen wollte. Er erwog die Worte im Geiste, sandte sie jedoch nicht aus. Er wusste, was die Santoth davon halten würden.
Ihr könnt uns auffordern, in die Welt zurückzukehren, sagten die Santoth, doch wir werden Form ohne Substanz sein.
Aber
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