Acacia 01 - Macht und Verrat
begutachten ließ. Sehr eigenartig, fand sie, doch es gefiel ihr.
Sie begleitete Hanish auch weiterhin auf offiziellen Reisen und hatte sich schon nach wenigen Wochen bei gesellschaftlichen Anlässen unentbehrlich gemacht. Als Hanish auf einem Hügel in der Nähe von Elos mit den candovischen Stammesführern zusammentraf, stand sie neben ihm. Bei Alyth unterwies sie den wortkargen Gildenvertreter Sire Dogan im Bogenschießen. Am Abend machte er ihr Komplimente über ihre Schießkunst und ihr bezauberndes Wesen. Auf einem Ausflugsboot, das von Alecia aus in See stach und nach einigen Stunden in weitem Bogen wieder zum Hafen zurückkehrte, spielte sie die Gastgeberin. Es sah ganz so aus, als sei sie die ideale Mittlerin zwischen den reichen Kaufleuten – von denen viele aus Acacia stammten – und der herrschenden Mein-Aristokratie.
Dies alles erregte das Missfallen der ehrgeizigen Mitläufer, die den Hofstaat des Häuptlings bildeten. Dass Corinn die Zielscheibe von Hanishs Sticheleien gewesen war, hatte ihre Zustimmung gefunden, doch die Rolle, die sie nun spielte, sahen sie mit anderen Augen. Corinn kam zwar nie ein böses Wort zu Ohren, doch sie konnte sich gut vorstellen, was sie dachten. Sie hassten sie, das war ihr nur zu bewusst. Corinn spürte es. Manchmal glaubte sie sogar, ihnen anzusehen, wie sich ihre Feindseligkeit unter ihrer Haut wand. Schließlich war sie eine niedere Acacierin, Angehörige eines besiegten Volkes. Ihre Schönheit entsprach einem Ideal, dem Mein-Männer nicht hätten verfallen sollen. Wenn es nach den Höflingen gegangen wäre, wäre Corinn niemals mehr gewesen als ein unterhaltsames Maskottchen. Selbst Rhrenna, in der sie einmal die beste Freundin gesehen hatte, die sie aller Wahrscheinlichkeit nach jemals finden würde, redete nur noch das Nötigste mit ihr, und das auch nur in höflich-reserviertem Ton.
Auch in ihrer Beziehung zu Hanish gab es düstere Momente, etwa als sie mit ihm auf der Aussichtsplattform des Bergwerks von Kidnaban stand. Sie blickten in einen Krater hinab, dessen Durchmesser das Begriffsvermögen überforderte. Hanish deutete auf die Akaran-Fahnen, die noch immer über der Plattform wehten. »Das haben Akarans erschaffen«, sagte er. »Wie konnten sich deine Verwandten so etwas ausdenken? Woher haben sie die Frechheit genommen zu glauben, sie könnten Millionen Menschen zu Fronarbeitern machen?«
Diese Frage war gerade verletzend genug gewesen, um mit einer sarkastischen Bemerkung darauf zu antworten, doch sie schwieg. Ihre Erwiderung wäre nicht ehrlich gewesen, denn er hatte recht. Das Ausmaß der Ungerechtigkeit sprengte jedes Maß. Hanish war zwar gegenwärtig die treibende Kraft hinter dem Unrecht, doch er hatte es nicht ersonnen. Sie fragte sich, wie sie so viele Jahre lang im Herzen des Reiches hatte leben können, ohne zu wissen, durch wessen Arbeit ihr Wohlstand gesichert wurde.
Bei dem Bergwerksbesuch nahm sie sich vor, nie wieder die Augen zu verschließen. Es war ein ganz einfacher Gedanke, doch ihn zu denken, veränderte irgendetwas in ihr. Von diesem Tag an schien es ihr leichter zu fallen, sich besondere Einzelheiten zu merken. Es war, als lerne sie jeden Tag mehr Dinge, mehr über die Geschichte und die alten Überlieferungen, mehr über Politik, über die Verteilung der Macht und die Fäden, die hinter der Fassade der Welt vibrierten und sich ständig verlagerten. Auch zu den in unzugänglichen Winkeln ihres Bewusstseins gespeicherten Informationen schien sie leichter Zugang zu finden. Corinn erinnerte sich an Dinge, von denen sie nicht sagen konnte, woher sie stammten. Sie spürte, wie die Räder ihres Verstandes ineinandergriffen und eine Ordnung des Weltablaufs entstand. Auch das gab ihr Auftrieb und förderte ihr Gefühl des Wohlbefindens.
Wie sehr verabscheute sie es, als sie misstönende Klänge zu vernehmen begann. Eigentlich war es nur eine Kleinigkeit ohne praktische Konsequenzen, dennoch verdross es sie ernsthaft, als sie erfuhr, dass Hanish ein ernsthaftes Heiratsangebot erhalten hatte, von einer Base dritten Grades, deren Familie angeblich im Besitz der Reliquien Hauchmeins war. Was immer das sein mochte. Zweifellos ein Sack voller Gebeine und Lumpen. Doch die Frau – eigentlich noch ein Mädchen – hatte genau die Sorte Stammbaum vorzuweisen, wie die Mein ihn schätzten. Angeblich entsprach sie auch dem Schönheitsideal der Mein, blass und schlank, mit strohblondem Haar und kristallscharfen Zügen. Sie hatte das Mein-Plateau
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