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Acacia 01 - Macht und Verrat

Acacia 01 - Macht und Verrat

Titel: Acacia 01 - Macht und Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Anthony Durham
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Sonne ausgedörrten Landschaft gab es nichts, was mit Schnee zu tun hatte. Wieso sollte ein solches Land jemanden mit diesem Namen hervorbringen?
    Schließlich fragte er in einer Gesprächspause: »Warum nennt Ihr ihn den Schneekönig?«
    Der Acacier sah Dariel an. In seiner Miene stand Geringschätzung für dessen weites, bis zum Nabel offene Seeräuberhemd und das zu einem Pferdeschwanz zusammengebundene lange Haar. Doch er war Dariels Gast und durfte sich seine Verachtung nicht anmerken lassen.
    Der Schneekönig, erklärte er, sei Aliver Akaran, der Thronerbe Acacias. Den Namen habe er an dem Abend angenommen, als der Attentäter seinem Vater die Klinge in die Brust gestoßen habe. »In jener Nacht hat es in Acacia geschneit. Es fiel Schnee, versteht Ihr? Das sind weiße Wasserkristalle, die vom Himmel fallen. Das war hundert Jahre lang nicht mehr vorgekommen, doch die Königskinder waren so furchtlos, dass sie im Schnee spielen, sich gegenseitig damit bewerfen und miteinander messen wollten. Und Aliver – der Älteste – erklärte, noch an diesem Abend werde er zum Schneekönig gekrönt werden. Das war eine Prophezeiung, versteht Ihr? Eine Prophezeiung, weil sein Vater am selben Abend tödlich verwundet wurde. Deshalb nennt man ihn den Schneekönig. Den Namen hat er selbst ausgewählt. Es wundert mich, dass Ihr nicht davon gehört habt. Die meisten dieser Leute hier sind unterwegs zum Schneekönig. Er hat versprochen, wenn wir für ihn kämpfen würden, geht es in Zukunft auf der Welt gerechter zu. Ich glaube ihm.«
    »Das tun wir alle«, sagte einer der Halbwüchsigen, was ihm zustimmendes Gemurmel einbrachte.
    »Er sagt, es käme nicht darauf an, dass wir im Vergleich zu den Mein wenige sind. Er sagt, wir sollten an die Ameisen denken, die in den Akazien leben. Sie fressen Löcher in die Dornen, richten sich darin ein – und dann verteidigen sie den Baum gegen Angreifer. Der Baum ist für sie das Leben. Er ist ihre Welt. Sie verbringen ihr ganzes Leben hoch oben im Geäst. Der Schneekönig sagt, wir sollen uns vor Augen halten, was diese kleinen Ameisen bewirken können, wenn sie sich zusammentun. Und genau das tun wir gerade. Deshalb sind wir hier, um den Baum zu verteidigen, der uns allen Leben schenkt.«
    In dieser Nacht fand Dariel keinen Schlaf. Am nächsten Tag kam ihm das Ganze unwirklich vor. Er wurde weder von Gedanken noch von Erinnerungen gequält und verspürte auch kein Hochgefühl und keine Vorfreude. Stattdessen fühlte er eine Leere in seiner Mitte. Ihm wurde bewusst, dass er diese Leere schon seit Jahren in sich trug. Als er angstschlotternd in der Berghütte gelegen hatte, war sie in ihm gewachsen, und seitdem schleppte er sie mit sich herum. Er wusste, dass er schon bald an dem Ort sein würde, wo diese Leere gefüllt werden würde, auf welche Weise auch immer. Diese Gewissheit erfüllte ihn mit Ehrfurcht. Was immer ihn erwartete, er würde es annehmen. Vielleicht hörte er deshalb auf, sich das, was auf ihn zukam auszumalen, darauf zu hoffen oder es zu fürchten.
    Leeka meinte, sie näherten sich ihrem Ziel, weshalb sie nach Einbruch der Dunkelheit etwa eine Stunde weitermarschierten. Die Gegend wurde hügelig. Offenbar waren sie auch in höhere Regionen gelangt, denn am Abend war es kühl, und es wehte ein frischer Wind. Und dann, als Dariel an Leekas Seite einen Hügel erklomm, sah er das Dorf Umae vor sich. Der Anblick, der sich ihm bot, ließ ihn unvermittelt stehen bleiben. Am Erdboden waren ebenso viele Lichtpunkte wie am Himmel. Hunderte von ihnen sprenkelten alles, so weit das Auge reichte.
    »Das sind bloß Feuer, Dariel«, sagte Leeka. »Lagerfeuer.«
    »Aber es sind so viele! Es ist eine Stadt.«
    »Nein, es ist keine Stadt. Nur ein Dorf und der Anfang der Armee deines Bruders. Und auch Eurer.«
    Sie schritten dem Lichtermeer entgegen, und die einzelnen Lichtpünktchen tanzten und schwankten bei jedem Schritt. Dariel nahm nur verschwommen wahr, wie sie die Zeltstadt betraten. Leeka kümmerte sich um alles. Dariel vermochte nicht zu sagen, wie lange es dauerte, doch irgendwann schritt er auf ein bestimmtes Zelt zu. Leeka flüsterte, dies sei der Ort, den sie gesucht hätten.
    Vor dem Eingang hockte ein Talaye. Als Dariel näher kam, folgte der Mann ihm mit seinem Blick. Sein Gesichtsausdruck änderte sich nicht, dafür aber etwas in seinen Augen. Als Dariel vor ihm stehen blieb, glaubte er hinter der freundlichen, dunkelhäutigen Fassade eine Spur von Belustigung wahrzunehmen.

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