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Acacia 01 - Macht und Verrat

Acacia 01 - Macht und Verrat

Titel: Acacia 01 - Macht und Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Anthony Durham
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wurden, doch er postierte sich an Stellen, wo er durch Risse in den Wänden das Geschehen im Palast hören und sehen konnte. Es erstaunte ihn, dass man sich hier auf diese Weise unbemerkt bewegen konnte, und er fragte sich, ob wohl irgendjemand während seiner Amtszeit von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht hatte.
    Sobald er die Frage gestellt hatte, kannte er auch die Antwort. Vor Gewissheit zog sich ihm schaudernd die Haut zusammen; natürlich war ihm früher nachspioniert worden: die Gilde. Wenn irgendjemand die Gänge benutzte, dann sie. War sie nicht bekannt dafür, über bevorstehende Ereignisse, Dekrete, Verhandlungspositionen stets hervorragend unterrichtet zu sein? Vielleicht nutzte sie diese Gefilde noch immer, um auch Hanish zu beobachten. Thaddeus verdoppelte seine Anstrengungen, ungesehen zu bleiben, und beobachtete bei jedem Standortwechsel das Palastleben der Mein.
    Ihm fiel auf, dass dies keinerlei erkennbare Muster aufwies. Der Palast summte vor Unordnung. Schreiber und Bedienstete legten geschäftige Betriebsamkeit an den Tag. Es war eine Unterströmung erregter Verwirrung zu spüren, als stünde ein noch nie dagewesenes Ereignis bevor. Thaddeus beherrschte die Mein-Sprache recht gut. Aufgeschnappten Gesprächsbrocken entnahm er, dass Hanish nicht auf der Insel weilte, aber bald zurückkehren würde. Als es Abend wurde, kam er zu dem Schluss, dass dies der Grund für die Aufregung war. Die Erklärung stellte ihn nicht ganz zufrieden, doch er war nicht zum Spionieren hergekommen.
    Seine Unternehmung verfolgte einen einzigen Zweck. Wenn das, was er aus den Hinweisen geschlossen hatte, die ihn neun Jahre lang begleitet hatten, zutraf, hatte sich Das Lied von Elenet die ganze Zeit über in Leodans Bibliothek befunden. Gewissermaßen war es niemals verschollen gewesen. Und wenn die Bibliothek unversehrt geblieben war, stand es immer noch am selben Platz wie wahrscheinlich schon seit Jahrzehnten. Er brauchte nur unbemerkt hineinzugelangen, das Buch zu finden und sich anschließend aus dem Palast und von der Insel zu stehlen.
    In den stillen Nachtstunden schlich Thaddeus zur Bibliothek. Halb war er auf Heimlichkeit bedacht, halb durchlebte er noch einmal jene fernen Momente, aus denen die Hinweise stammten, die ihn hierhergeführt hatten. Es schmerzte ihn, an sein letztes Gespräch mit Leodan zu denken. Seit damals hatte es ihn Tag und Nacht geschmerzt, jetzt jedoch verstand er es anders als früher. Jetzt war er sich nicht mehr so sicher, dass der Sterbende sich an ihr gemeinsames Leben erinnert hatte, als er ihn angesehen hatte. Er war sich nicht einmal mehr sicher, ob Liebe, Misstrauen oder gar Hass in seinem Blick gelegen hatte. Nichts davon war mehr gewiss, denn Leodan hatte in verschlüsselten Sätzen zu ihm gesprochen. Er hatte ihm eben nicht mitgeteilt, wo sich das Buch befand, hatte es ihm und den Kindern, die damals noch zu jung waren, nicht vollständig anvertraut. Stattdessen hatte er Hinweise auf seinen Standort gegeben. Klar erkennbar für sie, wenn sie bereit waren, das Buch zu erblicken, wenn sie es wirklich sehen mussten.
    Leodan hatte geschrieben: Sagt den Kindern, ihre Geschichte ist erst zur Hälfte geschrieben. Sagt ihnen, sie sollen den Rest ergänzen und sie neben die größte aller Geschichten einreihen. Sagt ihnen das. Ihre Geschichte steht neben der größten Geschichte, die je geschrieben wurde. So einfach war das. Er hatte Thaddeus mitgeteilt, dass die Geschichte seiner Kinder neben der »größten Geschichte« stehen würde, und seinen Kindern hatte er gesagt, die größte Geschichte wäre die der Zwei Brüder. Man brauchte diese beiden Aussagen nur zu kombinieren, und schon hatte man die Antwort. Mit ihrer Geschichte war nicht nur die Geschichte ihres Lebens gemeint. Auch nicht die Geschichte der Akaran-Dynastie. Sondern die lange Geschichte menschlicher Torheit. Die Geschichte, die davon handelte, wie die Menschen zu Göttern wurden, wie sie die Sprache erlernten, Gott erzürnten, die Geschöpfe Gottes versklavten und sich die Welt untertan machten. Es war die Geschichte von Elenets Verrat.
    Die Tür zur Bibliothek machte beim Öffnen viel zu viel Lärm. Die Angeln, die offensichtlich lange nicht mehr benutzt worden waren, knarrten. Der Geruch war genau wie früher, eine Mischung aus Staub und Moder, vermischt mit Sandelholzduft.
    Bleicher Mondschein fiel durch die großen Fenster, von denen einige angelehnt waren, sodass die kühle Nachtluft hereinströmte. Thaddeus hatte

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