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Acacia 01 - Macht und Verrat

Acacia 01 - Macht und Verrat

Titel: Acacia 01 - Macht und Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Anthony Durham
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keine Mühe, sich zwischen den hohen Regalen zurechtzufinden. Das gesuchte Buch stand genau dort, wo er es vermutet hatte. Er konnte kaum glauben, wie leicht das alles war. Das Buch Die zwei Brüder war genau dort, wo es hingehörte, und daneben war der unbeschriftete Rücken eines uralten Buches. Als er es aufschlug, wusste er, dass er das Gesuchte gefunden hatte.
    Es war Das Lied von Elenet , das Wörterbuch, das der erste Zauberer eigenhändig verfasst hatte. Auf dem Einband aus schlichtem, abgegriffenem Leder stand kein Titel. Es hätte sich auch um das Dienstbuch eines untergeordneten Gouverneursbeamten handeln können. Thaddeus schlug das Buch auf. Weder die Schrift noch die ersten Überschriften ließen seine wahre Bedeutung erkennen. Er musste sich vergewissern, dass er nicht geirrt hatte. Er wollte nur so viel darin lesen, um zu bestätigen, dass er das richtige Buch gefunden hatte. Er setzte sich in eine der Fensternischen, und mit jedem Blatt, das er umschlug, spürte er einen Hauch abgestandener Luft auf seinem Gesicht.
    Jede aufgeschlagene Seite veranlasste ihn, zur nächsten umzublättern, doch das lag nicht an dem, was er las. Er blätterte weiter, weil es ihm nicht gelang , im eigentlichen Sinne in dem Buch zu lesen. Er stellte fest, dass sein Verstand die Worte nur so lange festzuhalten vermochte, wie sie ihm vor Augen standen. Er las und las doch wieder nicht. Eine vollgeschriebene Seite lag vor ihm und dann noch eine und noch eine. Einfache Buchstaben und Worte, niedergeschrieben in einer harmlosen Handschrift auf einem Papier, dessen Derbheit sein Alter verriet. Eine Seite wie die andere, voller Worte, die er beinahe wiedererkannte. Doch so sehr er sich auch abmühte, er verstand keinen einzigen Satz. Er vermochte keinen Satz, keinen Gedanken, nicht einmal einen ungefähren Eindruck dessen, was direkt vor ihm lag, festzuhalten. Unermüdlich blätterte er Seite um Seite um, stets mit dem Gefühl, der Bedeutung des Ganzen dicht auf der Spur zu sein. Er verlor sich in dem Versuch, ohne zu bemerken, wie viel Zeit verstrich.
    Schließlich zischte er zornentbrannt: »Wozu soll so etwas gut sein?«
    Der Klang seiner eigenen Stimme ließ ihn aufschrecken. Er blickte sich in der Bibliothek um, beobachtete die Staubteilchen in der Luft, horchte auf die Stille und lauschte auf irgendein Anzeichen dafür, dass man ihn gehört oder gesehen hatte. Der Raum war still und leer, doch ihm wurde klar, dass es nicht mehr Nacht war. Auch die Morgendämmerung war bereits vorbei. Durch die Fenster fiel helles Tageslicht. Stunden waren vergangen, während er den Kopf in das Buch gesteckt hatte. Er war dermaßen versunken gewesen, dass jeder hätte hereinkommen und ihm auf die Schulter tippen können. Draußen auf dem Hof waren Stimmen zu vernehmen, auf dem Gang das Geräusch von Schritten, in einem angrenzenden Raum eine Art Schleifen, als verschiebe jemand ein schweres Möbelstück.
    Da spürte er das Gewicht des Buches, als drücke es absichtlich auf seine Schenkel und locke ihn, es erneut zu versuchen. Energisch klappte er es zu. Er selbst war natürlich nicht dazu bestimmt, darin zu lesen. Das war auch gar nicht seine Absicht gewesen. Um das Buch zu verstehen, musste man es eingehend studieren, und es sollte nur von jemandem in Augenschein genommen werden, der sein ganzes Leben darauf verwenden würde, die gewaltige Bedeutung des darin enthaltenen Wissens anzuerkennen. Thaddeus war nicht derjenige, der dies tun konnte. Er klemmte sich das Buch unter den Arm und wandte sich zur Tür, todmüde und ganz benommen vor Hunger. Er würde all seine Kräfte aufbieten müssen, um lebend aus dem Palast zu gelangen.
    Als er sich der Tür näherte, drang durch das offene Fenster zu seiner Linken eine Stimme herein. Die Stimme einer Frau, die jemandem etwas zurief. Den Wortlaut bekam er nicht mit, doch irgendetwas daran weckte seine Neugier, zu sehen, wer da sprach und mit wem. Er trat näher und reckte den Hals. Nach und nach breitete sich die Aussicht vor ihm aus, und was er sah, verschlug ihm den Atem.
    Drei Frauen wandten ihm den Rücken zu. Die eine winkte einer weiteren jungen Frau auf der anderen Seite des Hofes zu. Diese war offenbar soeben stehen geblieben. Nach kurzem Zögern machte sie kehrt und näherte sich der Dreiergruppe. Auf einmal erkannte Thaddeus sie. Corinn. Es war Corinn. Merkmale von Leodan und Aleera waren zu sehen, aber auch von Aliver, Mena und Dariel. All diese Eigenschaften hatten sich bei ihr zu

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