Acacia 01 - Macht und Verrat
unvergleichlicher Anmut verbunden. Ihre aufrechte Haltung war königlich, ihre Taille schmal, das himmelblaue Kleid umschloss schlanke Schultern und einen wohlgeformten Busen. Sie war Teil der Pracht Acacias, sah er, auf eine Weise, wie er es sich bei ihren Geschwistern nicht mehr vorstellen konnte.
Kaum hatte er dies gedacht, wurde ihm bewusst, dass es nur teilweise zutraf. Sie gehörte hierher, aber nicht so. Nicht als Gefangene, nicht als Geliebte von Hanish Mein, nicht als die Verkörperung des erzwungenen Verrats an allem, was ihr teuer gewesen war. Dies alles sah er in ihrem Gesicht, als sie mit den anderen Frauen sprach. Sie war eine atemberaubende Erscheinung, doch das vermochte das unter der Oberfläche verborgene Elend nicht zu verbergen. Ihr Gesicht hatte etwas Sprödes, Zerbrechliches wie Glas. Sie machte den Eindruck, als könnte sie jeden Moment in tausend Scherben zerspringen.
Thaddeus betrachtete sie unverwandt, solange sie sich auf dem Hof aufhielt. Zum zweiten Mal bereits vergaß er, dass er sich eigentlich hätte verstecken müssen. Er musterte sie und ihre Umgebung aus verschiedenen Fenstern und prägte sich alles ein. Schon bald hatte er herausgefunden, dass sie unter strenger Bewachung stand. Beschattern mag es gelingen, ihr Treiben vor der überwachten Person zu verbergen, oft jedoch sind sie für unbeteiligte Beobachter so offenkundig sichtbar wie die Sonne. Die Wachposten behielten sie ihm Auge. Vorbeikommende Regierungsbeamte musterten sie aus den Augenwinkeln. Eine Dienstmagd betrat den Hof mehrmals mit einem Korb, den sie weder absetzte noch füllte. Dies alles ließ erkennen, dass Corinn eine Gefangene war. Deswegen fasste er den Entschluss, sie zu befreien.
Dieser Gedanke war Thaddeus schon früher gekommen. Auf dem Weg durch den Norden Talays hatte er ihn immer wieder im Kopf herumgewälzt. Allerdings hatte er ihn verworfen. Alles hing davon ab, dass er das Buch beschaffte, und die Prinzessin zu befreien, hätte das ganze Unterfangen unendlich komplizierter gemacht. Es hätte viel mehr unwägbare Risiken in sich geborgen – und er durfte nicht scheitern! Er hatte im Geiste sogar Gespräche mit Hanish geführt und mit ihm um die gefangene Corinn gefeilscht. Er bezweifelte, dass Hanish ihr etwas zuleide tun wollte. Nicht nachdem er sie so lange am Leben gelassen und Nacht für Nacht das Bett mit ihr geteilt hatte. Sie würde in Sicherheit sein, hatte Thaddeus geglaubt, bis der Konflikt entschieden wäre.
Doch das war damals gewesen, als Corinn ein Gedanke gewesen war, ein Phantom, an das er zwar täglich dachte, das ihm aber seit neun Jahren nicht mehr unter die Augen gekommen war. Jetzt, da er sie leibhaftig vor sich sah, war alles anders. Wenn es ihm gelänge, die Insel mit Das Lied von Elenet und mit Prinzessin Corinn zu verlassen, hätte er seine früheren Sünden nahezu abgegolten. Dann wären alle Akaran-Kinder in Sicherheit. Die Zukunft der Welt läge in ihren tüchtigen Händen. Dass er dies vielleicht geschehen lassen konnte, bedeutete, dass er es versuchen musste. Natürlich musste er es versuchen.
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Maeander hatte alles von einer Plattform aus mit angesehen, die neben seinem Zelt im Mein-Lager errichtet worden war. Er hatte eine eigene Sehhilfe, zwei aneinandergebundene Fernrohre, die ihm einen räumlichen Blick auf das ferne Geschehen ermöglichten. Als die Acacier aufs Schlachtfeld marschiert waren, hatte er vor sich hingesummt. Er hatte über ihr Zögern beim Anblick der Antokkäfige gelächelt, hatte sich ihre bestürzten Gesichter vorgestellt und immer wieder laut aufgelacht, was die Männer um ihn herum zusammenschrecken ließ.
Trotzdem hatte die Vernichtung, die die Bestien anrichteten, ihn erschüttert. Er hatte zu wissen geglaubt, was zu erwarten sei. Im Laufe der Jahre, seit die Gilde damals die jungen Antoks als Geschenk der Lothan Aklun überbracht hatte, hatte er sich persönlich darum gekümmert, dass die Kreaturen abgerichtet wurden. Er hatte miterlebt, wie die ferkelgroßen Tiere herangewachsen waren, und hatte die Wärter angewiesen, sie auf einen solchen Moment vorzubereiten. Sie hatten sie gelehrt, alles Bunte zu hassen und jegliche Vielfalt, derer sie ansichtig wurden, zu fürchten. In monatelanger Arbeit hatten sie die Antoks dazu gebracht, Orange, Rot, Purpur, Grün und Blau mit Schmerzen gleichzusetzen, mit Leiden. Und sie hatten sie gelehrt, ausschließlich mit blindem Wüten darauf zu antworten. Besonders schwierig war es nicht gewesen. Von
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