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Acacia 01 - Macht und Verrat

Acacia 01 - Macht und Verrat

Titel: Acacia 01 - Macht und Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Anthony Durham
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vorgelegt wurden, und wenn er für ihn persönlich bestimmt war, wäre er normalerweise auch persönlich übergeben worden. Hatte er eben noch gefroren, so wurde ihm jetzt eiskalt. Ohne den Umschlag anzurühren, ließ er sich steif auf seinem Stuhl nieder. Das Lederpolster knarrte protestierend unter seinem Gewicht, dann aber passte es sich wie seit so vielen Jahren den Konturen seines Körpers an.
    Er brach das Siegel mit dem Fingernagel und las die Nachricht: Der König ist tot, begann sie. Ihr wart nicht daran beteiligt. Diese Ehre gebührt allein meinem Bruder. Wenn Ihr klug seid, empfindet Ihr weder Schuldgefühle noch Freude. Jetzt aber, Thaddeus, solltet Ihr an Eure Zukunft denken. Kümmert Euch um die Kinder. Ich will sie haben, und zwar lebend. Wenn Ihr sie mir lebend übergebt, werden Euch neben Eurer Rache auch Reichtümer zuteilwerden. Das verspreche ich Euch.
    Thaddeus hielt bei der Unterschrift am Ende inne und starrte sie an, als wäre es kein Name, sondern ein Wort, dessen Bedeutung er vergessen hatte. Unterzeichnet war der Brief mit Hanish, von den Mein .
    Auf dem Gang waren Geräusche zu vernehmen. Thaddeus drückte den Brief flach auf seinen Schenkel. Zwei in eine Unterhaltung vertiefte Männer gingen vorbei, zwei Gestalten, die in dem schmalen Türspalt den Bruchteil einer Sekunde sichtbar waren. Dann waren sie auch schon vorüber. Thaddeus glättete den Brief, nahm wieder Platz und legte ihn sich über die Knie.
    So saß er eine ganze Weile da und hing alten Erinnerungen nach, für einen Moment von den widerstreitenden Dingen entbunden, die die Welt von ihm verlangte. Dann aber fühlte er den Luftzug, der entstand, als die Tür zum Schlafgemach des Königs aufgetan wurde. Er durfte nicht länger säumen. Rasch erhob er sich, ging zum Kamin und ließ auch dieses Pergament ins Feuer gleiten. Dann drehte er sich um, um wieder zu seinem alten Freund zurückzukehren. Er würde ihm seine Pfeife bringen und Abschied von ihm nehmen, und dann würde er über das Schicksal der Akaran-Kinder entscheiden.

20

    Von Cathgergen aus flogen mehrere Botenvögel einer kurzflügeligen Unterart in kleinen Etappen über das Mein. Jeder von ihnen fand Orte der Rast, nicht viel mehr als Felsvorsprünge inmitten der Eisund Schneewüste, mit niedrigen Hütten darin, in denen einsame Männer neben Drahtkäfigen kauerten und die Tauben, die sie betreuten, gurrend umschmeichelten und liebkosten, langhaarige Einsiedler, die mit der Menschenwelt nur durch die Vögel verbunden waren. Es war eine alte Route, die nur den wenigen lebenden Seelen bekannt war, die sie unterhielten, doch sie funktionierte erstaunlich zuverlässig. Daher traf ein Kurier der Lüfte, der im milden Klima Acacias aufgebrochen war, nach nur fünftägigem Flug in Tahalia ein. Ein Bruchteil der Zeit, die ein Mensch für diese Strecke benötigt hätte.
    Als der Vogel in einem Gebäude von Tahalia niederging, die Flügel anlegte, die bebenden Krallen um eine Sitzstange bog und seine Fracht einem weiteren Vogelpfleger darbot, erhob sich der Empfänger der Nachricht von seinem dreibeinigen Schemel in einer vertieft angelegten Arena hinter der Festung, einer Arena, die man den Calathfels nannte. An dem Bauwerk hatten hunderte Männer viele Jahre lang gearbeitet. Es war aus schweren Hartholzstämmen erbaut, und die Tragbalken der Decke waren mit Eisenmanschetten verbunden. Insgesamt überspannten sie eine Fläche von fünfhundert Quadratruten. Die Arena war hoch und breit genug für Militärmanöver, Exerzierübungen und Waffenschulungen. Sogar ganze Schlachten wurden hier nachgestellt, verborgen vor neugierigen Augen und vor dem Wetter geschützt. Es war das funktionale Denkmal einer kriegerischen Sache. Und es war der geheime Stolz eines Volkes, dem man offiziell weder Geheimnisse noch Stolz zugestand. Trotz seiner Größe aber fand im Calathfels im Moment ein Kampf zwischen nur zwei Männern statt.
    Hanish Mein trat in die Mitte des Kreises, der sich für ihn geöffnet hatte. Er verneigte sich vor dem Mann, der gelobt hatte, ihn zu töten, und zeigte mit einem Kopfnicken an, dass er bereit sei, den Maseret-Tanz zu beginnen. Hanish war mittelgroß, schlank gebaut und mit einem kurzen Rock und der Thalba bekleidet, einem Kleidungsstück aus einer einzigen Lage dünnen, gegerbten Leders, das er sich mithilfe von Bediensteten so um den Oberkörper gewickelt hatte, dass die Arme nicht behindert wurden. Das Haar trug er im Unterschied zu den meisten Mein an den

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