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Acacia 01 - Macht und Verrat

Acacia 01 - Macht und Verrat

Titel: Acacia 01 - Macht und Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Anthony Durham
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als Kinder erlernt und ein Leben lang ausgeübt: Sie alle verließen sich auf den Balsam der Droge, um sie von der niemals endenden Qual ihres Lebens zu erlösen. Der König war nicht anders als sie.
    Allerdings verbrachte Leodan die Zeit unter dem Einfluss des Nebels auf seine ganz eigene Weise – in Gesellschaft seiner verstorbenen Gemahlin. Dies hatte er Thaddeus einmal gestanden. Sie erwarte ihn gleich hinter der Wand des Bewusstseins. Sei er erst hindurchgeschritten, begrüße sie ihn mit Zärtlichkeit und Tadel in den Augen, voller Liebe für ihn, jedoch voller Abneigung gegen sein Laster. Nach jenen Augenblicken nehme sie seine Hand, nehme ihn ganz und gar an und geleite ihn durch die Schönheit ihres Werbens und ihres Verlöbnisses. Mühelos schritten sie von einem wunderbaren Erlebnis ihres gemeinsamen Lebens als Mann und Frau zum nächsten, als Eltern mit jedem Kind, das der Schöpfer ihnen zugestand, durch große und kleine und innige Momente. Die kleinen, hatte Leodan gemeint, überraschten ihn häufig. Winzige Augenblicke, da er Aleera in einem bestimmten Licht gesehen habe, da ihm bestimmte Einzelheiten ihrer Gestalt, Eigenarten ihres Gesichts, ihrer Stimme oder ihres Auftretens ins Gedächtnis kämen... Wie konnte er sie so lieben und dennoch in seinen wachen Stunden so vieles von dem vergessen, was sie ausgemacht hatte? Nach diesen Einzelheiten suchte der König immer wieder hinter der Nebelwand. Aleera führte ihn durch alles, was in den Jahren ihres Zusammenlebens wundervoll gewesen war. Das alles an einem einzigen Abend.
    Das Leben, dachte Thaddeus, musste im Vergleich zu einer solchen Wonne eine blasse Strafe sein. Dann aber dachte er wieder an die Kinder. Leodan hatte wenigstens Kinder, während sie ihm selbst versagt geblieben waren. Wenigstens brauchte Leodan nicht in dem Wissen dahinzuscheiden, dass seine geliebte Ehefrau durch Verrat hatte sterben müssen. Nach Dorlings Tod hatte man ihn tausendmal gefragt, weshalb er nicht wieder geheiratet und weitere Kinder gezeugt habe. Er hatte stets mit den Schultern gezuckt und eine vage Antwort gegeben, niemals die Wahrheit gesagt – dass er befürchte, noch mehr Tod zu verursachen. Vielleicht hatte er die ganze Zeit über gewusst, dass man seine Lieben umgebracht hatte, um seinen eigenen Ehrgeiz zu ersticken.
    Ah! Thaddeus stieß heftig auf die Scheite ein, zornig, dass er nicht einmal jetzt seine Gedanken zu zügeln vermochte. Sie glichen einer Schlange, die sich in seinem Kopf wand, einer hungrigen Schlange, die bisweilen ihren eigenen Schwanz zu verschlingen schien. Er legte den Schürhaken weg und blickte wieder auf die Botschaft des Königs nieder, auf die eckigen Buchstaben, die fehlerhaften Sätze, die Schrift, die nur eine entfernte Ähnlichkeit mit Leodans früherer Handschrift aufwies. Wäre dieses Dokument entdeckt worden, hätte niemand geglaubt, dass es von Leodan Akaran stammte. Nur sehr wenige würden die Anweisung verstehen. Allein er und der König hatten je über den Plan gesprochen, auf den sie sich bezog. Wie eigenartig, dass etwas, über das sie vor ein paar Jahren beiläufig gesprochen hatten – Thaddeus hatte damals Wein getrunken, und der König war vom Nebel benommen gewesen -, jetzt tatsächlich zu einer Möglichkeit geworden war. Doch das Pergament war nicht für anderer Leute Augen bestimmt, sondern allein für die seinen. Der König hatte ihm sein kostbarstes Anliegen anvertraut. Wie merkwürdig, dass er nicht ahnte, wer der größte Verräter am Hofe war.
    Die Nachricht, auf die er jetzt einen letzten Blick warf, hatte folgenden Wortlaut: Wenn es so weit ist, schickt sie in die vier Winde. Schickt sie in die vier Winde, wie wir es besprochen haben, mein Freund ...
    Nachdem er die Worte gelesen hatte, löste er die Finger von dem Pergament, sodass es ins Feuer fiel. Es landete am Rand der Scheite, und einen Augenblick lang dachte er, er müsse es mit dem Schürhaken in die Glut schieben. Dann aber fing es Feuer, loderte auf, kräuselte sich und wurde schwarz. Gleich darauf existierte es nicht mehr. Thaddeus wandte sich vom Kamin ab und trat um den Schreibtisch herum. Er wusste nicht recht, was er jetzt anfangen sollte, hielt es aber für geraten, den beschäftigten Kanzler zu mimen. Da fiel ihm der Briefumschlag ins Auge.
    Der weiße Umschlag lag mitten auf der Tischplatte aus poliertem Holz. Er hätte nicht hier sein sollen. Er war nicht mit den übrigen Schriftstücken gebracht worden, die ihm einmal täglich

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