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Acacia 02 - Die fernen Lande

Acacia 02 - Die fernen Lande

Titel: Acacia 02 - Die fernen Lande Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Anthony Durham
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himmelwärts strebten, die im Dunst verschwammen, so dass man ihre wahre Höhe nur erahnen konnte. Reihe um Reihe nahmen sie ihren Weg um das Erdenrund auf sich. Sie bildeten eine Gebirgskette, wie er sie in der Bekannten Welt noch nie gesehen hatte, und sie waren ganz gewiss noch nicht da gewesen, als er sich das letzte Mal in den fernen Süden aufgemacht hatte.
    »Ich sehe sie, und ihr seht sie«, sagte Benabe. »Wir alle sehen sie, stimmt’s? Und daher frage ich: Wieso sind dort Berge vor uns? Niemand hat irgendetwas davon gesagt, dass wir über Berge klettern müssen.«
    »Ich kenne diese Berge nicht«, war alles, was Kelis antworten konnte.
    »Wie meinst du das?«, fragte Benabe. »Du bist doch schon einmal hier gewesen …«
    »Das stimmt, aber damals waren die Berge nicht da.«
    Lange starrte er die Gebirgsmauer an, während die anderen ihn mit Fragen überschütteten. Was bedeutete das? Hatten sie sich tatsächlich so sehr verirrt? Wie konnten dort so hohe Berge sein, von denen sie noch nie zuvor gehört hatten? Wie war es möglich, dass er sie nicht gesehen hatte, wenn er diesen Weg tatsächlich schon einmal gegangen war? Mussten sie sie überqueren, oder um sie herumgehen, oder …
    Auf jede Frage schüttelte er den Kopf und wiederholte: »Ich kenne diese Berge nicht.« Er warf Shen einen Blick zu, die ihrerseits ihn ansah. Sie war die Einzige, der die kolossale Barriere vor ihnen keine Angst machte. Nein, sie legte nur den Kopf schief und lächelte, als störe sie das alles nicht und als wäre sie jederzeit bereit weiterzugehen.

27

    Er hatte ihren Namen gesagt. Mór. Er war von seiner Zunge gerollt, als kenne er sie, als wären sie alte Freunde oder Kameraden, als wäre er ein Gebieter, der sie gleich bestrafen würde, weil sie ihre Arbeit nachlässig verrichtet hatte. Als hätte er das Recht, ihren Namen zu kennen und ihn mit den Lippen zu formen. Sie wusste nicht genau, was von alledem sie am deutlichsten gehört hatte, als er gesprochen hatte, doch all das hatte darin mitgeschwungen. Eigentlich war es etwas ganz Einfaches, doch es war so unerwartet gekommen, dass es sie viel wütender gemacht hatte, als sie erwartet hatte. Der Augenblick, auf den sie ein Leben lang gewartet hatte … der Augenblick, in dem sie einem Akaran-Prinzen ins Gesicht spucken würde. Einem widerlichen, verachtenswerten Akaran! Einem Despoten. Einem Verbrecher. Einem abscheulichen Menschen, der nur so lange zu leben verdiente, bis er das ganze Ausmaß der Verbrechen begriff, die in seinem Namen begangen worden waren. Sie war in jenen Raum gegangen und war bereit gewesen, es zu genießen, endlich einen dieser Akarans vor sich zu sehen, einen von jenen, die verhasster waren als selbst die Auldek oder die Lothan Aklun oder die Gilde.
    Stattdessen hatte sie die Beherrschung verloren. Und warum? Vielleicht, dachte sie, als sie in einer fensterlosen Kammer in dem Labyrinth aus Tunneln unter der Hauptstadt saß, war es sein Akzent. Sein verdammter acacischer Akzent! Er sprach so, wie sie alle einst gesprochen hatten – ja, sie alle, wenn auch mit kleineren oder größeren Abweichungen –, vor den Jahren in Ushen Brae, in denen sie nur heimlich Acacisch gesprochen hatten und die offizielle Sprache der Auldek ihre Aussprache verbogen und verzerrt hatten, so dass sie sich nicht mehr erinnern konnten, wie es eigentlich klingen sollte. Die Sprache des Widerstands, in der das Freie Volk sich untereinander unterhielt, war eine traurige Nachahmung der Sprache derer, die sie als Sklaven verkauft hatten. In all dem lag eine schreckliche Ironie. Das war es, so wurde ihr jetzt klar, als sie darüber nachdachte, was sie dazu getrieben hatte, ihn so hart zu schlagen.
    Oder … nun ja, da war auch noch etwas anderes. Sie hasste es, es zuzugeben, aber der Tonfall seiner Stimme hatte die Erinnerung an ihren Bruder in ihr aufsteigen lassen. Niemals hätte sie das erwartet. Ein paar Sekunden in seiner Gegenwart. Ein paar Worte, und die ganze Last ihrer Sehnsucht nach Ravi brach über sie herein. Es war keine bestimmte Erinnerung, sondern einfach nur die volle Erkenntnis, wie sehr sie ihn vermisste, wie unvollständig sie ohne ihn war. Dieser Akaran-Bastard! Das alles mit nur ein paar Worten über sie zu bringen … Es musste irgendeine acacische Magie gewesen sein. Wer konnte sie dafür tadeln, dass sie seinen Kopf gegen die Wand geschmettert hatte? Er hatte Schlimmeres verdient. Und soweit es sie betraf, würde er auch Schlimmeres erleiden.
    Sie

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