Acacia 02 - Die fernen Lande

Gemütszustand leicht auffangen. Manchmal wurde Mena erst dadurch bewusst, was sie fühlte, dass Elya als Antwort auf dieses Gefühl etwas tat. Wenn Mena nachdenklich wurde, wenn sie an Corinn dachte oder sich Sorgen um Dariel machte, den seine Mission so weit weggeführt hatte, schnitt Elya ihr manchmal Grimassen, forderte sie zum Fliegen auf oder kam einfach nur näher und ließ ihren Körper Freude verströmen, als wäre es Hitze.
    Zu anderen Zeiten wusste Elya, wann sie sich zurückziehen musste. Wenn beispielsweise Mena und Melio miteinander im Bett waren, verhielt Elya sich so töricht wie irgendeine beliebige Zofe und machte ein großes Aufhebens darum, wie verlegen sie war, die beiden in ihre Laken verstrickt überrascht zu haben. Und dann wich sie mit gesenktem Kopf leichtfüßig zurück. Wäre ihre Haut nicht unter ihrem weichen Gefieder verborgen gewesen, so hätte man sie sie vermutlich erröten sehen können. Ja, für das, was zwischen ihnen war, gab es kein anderes Wort als das, was sie Melio damals in Talay zugerufen hatte: Liebe . Elya hatte einen neuen Grad von Liebe in den Palast gebracht. Der dringend gebraucht wurde.
    Als das vogelähnliche und reptilische und vollkommen einzigartige geflügelte Wesen die letzten paar Hundert Fuß im Sturzflug herabgeschossen kam, begrüßte Mena sie mit Gedanken voller Zuneigung, voller Bewunderung ihrer Schönheit und Dank dafür, auf welch vielfältige Weise sie Aaden bezauberte. Elya stürzte ihnen mit eng an den Körper angelegten Schwingen entgegen, den Kopf nach vorn gereckt, den Schwanz pfeilgerade hinter sich.
    Erst als Aaden und Devlyn erschrocken die Arme hoben und die drei Dienerinnen sich zu Boden warfen, breitete Elya die Schwingen aus. Die Wirkung trat unverzüglich ein. Die Membranen ihrer Schwingen blähten sich, spannten sich und füllten sich mit Luft. Ihre Schwingen fassten die Luft so vollkommen, dass diese ganze unglaubliche Geschwindigkeit einfach verschwand. Ein paar Sekunden hing sie über ihnen und zog dann die Schwingen ein, begleitet von jenem raschen Klicken, mit dem sie sich einrollten und zu nichts weiter als kleinen Erhebungen auf ihrem Rücken schrumpften. Die Luft darin entwich, und sie landete sanft im Gras.
    Aaden rannte zu ihr, schlang ihr die Arme um den Hals und drückte sein Gesicht in ihr Gefieder. Einige Zeit lang verlor sich der Junge im Gespräch mit ihr, ein Wortschwall sprudelte aus ihm heraus, dem Mena nicht folgen konnte. Elya hingegen legte den Kopf leicht schräg, blinzelte und zog die Nase kraus, als verstünde sie alles, was der Junge sagte, und fände es überaus bezaubernd.
    »Schade, dass Grae nicht hier ist«, sagte Aaden, als er sich kurz von ihr losriss. »Das würde ihm gefallen. Würdest du ihn mit Elya fliegen lassen, wenn er hier wäre?«
    »Vergiss nicht, was ich gesagt habe. Ich gebe ihr keine Befehle. Sie könnte ihn auf sich reiten lassen, wenn sie es wollte, aber … ich glaube, sie ist sehr wählerisch.« Genau wie deine Mutter , hätte sie beinahe hinzugefügt. Sie beugte sich zu ihm vor und zwickte ihn in die Nase. »Du solltest dich geehrt fühlen. Du bist etwas Besonderes, und das nicht nur, weil du der Prinz bist. Das bedeutet ihr nichts, sie mag dich wegen dem, was wirklich in deinem Innern ist.«
    Der Junge nahm das Lob hin, wie er jede Anerkennung hinnahm, als stünde es ihm zu und als wäre es so leicht wie die Worte an sich. Er kletterte auf Elyas Rücken und rief einer der Dienerinnen zu, ihm seinen Bogen und die stumpfen Pfeile zu bringen. Den Köcher auf dem Rücken und den Eschenbogen in der Hand, drängte er Elya zu einer etwas schnelleren Gangart als normalem Schritttempo. Die Vogelechse ging sehr vorsichtig mit ihm um. Das konnte Mena daran erkennen, wie schwerfällig sie sich bewegte; sie achtete darauf, dass er stets sicher auf ihrem Rücken saß, auch wenn sie dafür ihre Glieder anders krümmen musste als sonst. Devlyn hütete sich zu fragen, ob er ebenfalls reiten dürfe. Er griff nach seinem eigenen Bogen und machte großes Aufhebens darum, Aaden zu umkreisen. Eine spontane Jagdgruppe. Aaden rief Mena zu, sie solle mitmachen, doch sie lehnte ab. Sie war es zufrieden, auf der Decke zu sitzen und ihnen zuzuschauen, die salzige Luft zu riechen und den Wellen zu lauschen, die am Fuß der seeseitigen Stadionmauern rhythmisch gegen das Ufer klatschten.
    Ein Stück entfernt grasten kleine Wiederkäuer, ungefähr so groß wie Hunde; sie sahen ein bisschen wie schlaksige,