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Acacia 02 - Die fernen Lande

Acacia 02 - Die fernen Lande

Titel: Acacia 02 - Die fernen Lande Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Anthony Durham
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Dellen dort gefahren und hatte die Handfläche daraufgelegt. Damals hatte er so verletzlich gewirkt. Es hatte beinahe ein Jahr gedauert, bis seine Haare dichter und länger geworden waren. Ein Teil von ihr hatte sich anfangs vor der Vorstellung gefürchtet, dass er die strohblonden Haare der Mein bekommen würde, aber als sie wuchsen, verliebte sie sich darin, wie sie aussahen und sich anfühlten. Wie konnte sie auch anders? Es waren die Haare ihres Sohns.
    Natürlich war er auch Hanish Meins Sohn. Die Beweise hierfür fanden sich in den goldenen Glanzlichtern seiner braunen Haare, in seinem bereits deutlich ausgeprägten Kinn und in der Form seines Mundes. Sein Gesicht war oft ein wenig versonnen, wie es auch das seines Vaters gewesen war – jener heitere Ausdruck, der oft seine wahren Gedanken und Absichten verborgen hatte. Ja, er war Hanishs Sohn. Corinn war sich dieser Tatsache jeden Tag bewusst. Doch er würde nicht den Namen des Verräters tragen. Offiziell war er ganz und gar ein Akaran; Corinn war alles, was er an Eltern benötigte. Wenn jemand unbedingt seinen Vater benennen wollte – so hatte sie einst einen Botschafter angefahren, der so unverschämt gewesen war, sie nach dem Erzeuger ihres Kindes zu fragen –, brauchte er nicht weiter zu blicken als bis zum Geschlecht der Akaran. Das war es, was Aaden war! Das Kind Edifus’ und Tinhadins und jedes anderen Akaran, der jemals auf der Bekannten Welt gewandelt war. Er war nach Tinhadins Erstgeborenem benannt. Sie hielt dies für angemessen und – hoffentlich – für prophetisch.
    Es beunruhigte Corinn, dass es keine Worte gab, mit denen sich die Liebe, die ein Elternteil seinem Kind entgegenbringt, angemessen beschreiben ließ. Sie hatte so wenig gewusst, bevor sie Mutter geworden war. All die Jahre hatte sie nichts von dem verstanden, was ihr Vater und ihre Mutter durchgemacht haben mussten, als sie vier Kinder großgezogen hatten. Es verdross sie, wenn sie daran dachte, wie dumm sie früher gewesen war – ein merkwürdiges, unangenehmes Gefühl, das da so rasch auf ihre Bewunderung folgte. Und sie machte sich Sorgen, dass sie irgendwann vielleicht von einem Punkt größerer Weisheit zurückschauen und erneut feststellen würde, dass die, die sie jetzt war – mit dreiunddreißig, Mutter eines Einzelkinds, Witwe eines Liebhabers, der vorgehabt hatte, sie ermorden zu lassen, Schwester zweier noch lebender Geschwister und eines toten Bruders, eine Waise, die nicht mehr auf ihre Eltern bauen konnte – im Hinblick auf irgendetwas Wichtiges unwissend gewesen war.
    Solche Gedanken behielt sie natürlich für sich. Der Welt da draußen zeigte sie die unerschütterliche Gewissheit einer Statue. Und warum auch nicht? Sie war Königin eines gewaltigen Reiches und Hüterin des mächtigsten Wissens, das die Welt je gekannt hatte. Sie war es ihrem Volk schuldig, sich bei allem, was sie tat, ihrer Sache sicher zu sein. Unschlüssigkeit, Bedächtigkeit, Bedenken – das waren Zeichen von Schwäche, die Sorte Fehler, die ihren Vater daran gehindert hatten, ein wirklich großer König zu sein. Die Schwachstellen, durch die das Reich zeitweise verloren gegangen war.
    Egal, dachte sie. Jetzt hatte Acacia eine große Königin. Und deswegen würde das Land gedeihen; sie versprach, dass es so sein würde. Eine Königin, die fest und sicher dastand, eine Mutter, die den nächsten König des Reiches großzog. Denn genau das würde Aaden werden, auch wenn die Welt sich dessen noch nicht so sicher war wie sie selbst. Als unehelichem Kind war Aaden der Thron nicht garantiert. Er konnte ihr Nachfolger werden, aber das würde nicht ohne Herausforderungen und Proteste aus den Reihen anderer Agnaten-Familien vor sich gehen, die es vorziehen würden, dass sie einen der ihren heiratete und ein legitimes Kind gebar. Auch würde jedes Kind aus einer Ehe ihrer Geschwister – etwa ein Kind Menas und Melios – in der Thronfolge vor Aaden stehen. Bis jetzt jedoch gab es noch kein solches Kind, und schon bald würde Corinn sie alle überraschen.
    So konzentriert der junge Schwertkämpfer auch gewesen war, als er das Ende der eingeprägten Bewegungsabläufe erreicht hatte, ließ er diese Rolle vollkommen fallen. Sein Schwertarm sank schlaff herab; er kam mit gelangeweilter Miene auf den Schreibtisch seiner Mutter zugetrottet. »Das ist alles, was ich gelernt habe. Ich wollte das Ende lernen, aber Thotan hat gesagt, ich muss am Anfang anfangen.«
    »Aaden«, sagte die Königin,

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