Acacia 02 - Die fernen Lande
»das ist wunderbar. Eines Tages wirst du ein ausgezeichneter Schwertkämpfer sein. Bestimmt sogar besser als Dariel. Sogar besser als Mena!«
Der Junge nahm das Lob mit einem knappen Nicken entgegen und versicherte ihr, dass er schon jetzt ein ausgezeichneter Schwertkämpfer sei. Es sei nicht nötig, auf ein eines Tages zu warten. Dennoch weckte etwas an ihren Worten seine Konzentration von Neuem. Er konzentrierte sich abermals auf die Form, und tiefe Furchen auf seiner Stirn kündeten ebenso von seiner Entschlossenheit wie die Zungenspitze zwischen seinen Zähnen.
»Es war schön, dir zuzusehen«, sagte Corinn, »aber jetzt solltest du gehen. Ich muss über viele Dinge nachdenken.«
»Na schön«, antwortete der Junge, dann senkte er die Stimme und schlug einen verschwörerischen Ton an. »Aber vorher zeigst du mir noch etwas. Ein Tier. Mach etwas, das ich noch nie gesehen habe. Nein! Mach etwas, das noch niemand gesehen hat!«
Corinn schaute sich um, während sie sagte: »Aaden, du weißt, dass ich etwas hier nicht gern tue, wo so viele Augen ringsum sind.«
»Aber es ist doch niemand hier«, wandte Aaden ein, wobei er sich allerdings vorbeugte und flüsterte.
»Warte, bis wir wieder in Calfa Ven sind.«
»Mutter! Nur eins, dann gehe ich. Es ist schon ewig her, seit du mir etwas gezeigt hast. Wir sind doch allein. Schau.«
Corinn nahm sich einen Augenblick Zeit, um sich zu vergewissern, dass der Raum tatsächlich leer war, dass keine Augen sie beobachteten und niemand in Hörweite war. Sie gab nur selten irgendeinem lebenden Menschen nach, wenn sie von etwas nicht vollkommen überzeugt war, aber Aaden etwas abzuschlagen, war schwer. Oder, um die Wahrheit zu sagen, sie wollte ihm nichts abschlagen. Entzücken auf seinem Gesicht zu sehen war eine Freude, wie sie sie noch nie zuvor erlebt hatte.
»Dann vergewissere dich, dass die Tür fest zugezogen ist«, sagte sie.
Sie ging um ihren Schreibtisch herum und zog sich in die kleine Nische in der Ecke des Zimmers zurück, so dass sie außer Sicht sein würde, sollte irgendjemand unangemeldet hereinplatzen. So etwas war natürlich streng verboten, trotzdem war sie lieber vorsichtig. Überzeugt, dass sie nicht gestört werden würden – und in der Lage, mit einem Teil ihrer Sinne die Bewegungen anderer Personen in den umliegenden Korridoren wahrzunehmen –, begann Corinn zu singen. Ganz sanft, als wünschte sie, die Worte in eine flache Schüssel auf dem Boden vor ihr fließen zu lassen, wobei sie sie sorgfältig lenkte, damit sie nicht über einen imaginären Rand schwappten. Sie sang Worte, die keine Worte waren, Laute, die die Bestandteile der Existenz in sich trugen, die Fäden, die das Leben zusammenwoben. Sie spürte, dass Aaden zurückkam und wusste, dass er mit großen Augen dicht neben ihr stand, doch sie wandte den Blick nicht von der Stelle über dem Fußboden ab, zu der sie sang.
Wäre sie gebeten worden zu erklären, wie die Sprache des Schöpfers bewirkte, was sie bewirkte, hätte sie es nicht gekonnt. Diese Sprache war nichts, das logisch von einem Punkt zum anderen führte. Es war eine Sprache, die niemals stillhielt, die sich vor ihren Augen und in ihren Ohren veränderte. Gewiss, sie besaß eine Ordnung, es gab einen Weg, auf dem man zu größerer und noch größerer Meisterschaft voranschritt. Und ja, auch Gelehrtheit gehörte dazu. Sie hatte sich jahrelang mit dem Lied von Elenet abgemüht, vor allem dann, wenn sie sich mit Aaden und einer Handvoll Begleitern in das Jagdschloss von Calfa Ven zurückgezogen hatte. Unzählige Male hatte der Text auf den uralten Seiten sich erhoben, um zu ihr zu sprechen, wie Geister, die auf dem Pergament gefangen waren und durch die Berührung ihres Blicks entfesselt wurden. Sie erzählten ihr von der wahren Sprache des Schöpfers. Sie führten sie durch Übungen, bogen ihre Zunge um Worte, die aus Geräuschen bestanden, die sie nie zuvor gehört hatte.
Doch trotz alledem blieb das Singen so etwas wie eine Improvisation, die aus den stundenlangen Übungen hervorsprang und ein eigenes Leben entwickelte. Obwohl ihr das Angst machte – manchmal wachte sie aus Träumen auf, in denen sich ihr Lied plötzlich in einen Albtraum verwandelt hatte –, war das Singen selbst auf so hinreißende Weise schön, dass sie nicht mehr lange darauf verzichten konnte. Aaden wollte, dass sie sang; in Wahrheit jedoch hungerte sie selbst noch mehr danach als er.
Und so sang sie. Ihre Worte – unverständlich, schön und
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