Acacia 02 - Die fernen Lande
ausgebreitet waren. Sie schaute auf, schien einen Moment nicht bei der Sache zu sein, doch dann setzte sie eine gefasste Miene auf. »Mena. Es tut mir leid, dass Melio fort musste. Ich weiß, das muss schwer für dich sein.«
Mena räuperte sich; sie empfand die Liebenswürdigkeit, mit der ihre Schwester das Gespräch begann, etwas befremdlich. »Danke.«
»Es kommen Zeiten auf uns zu, in denen große Opfer notwendig werden«, sagte Corinn. »Von uns allen wird viel verlangt werden. Uns allen wird viel genommen werden. Aber du kannst mir glauben, dass ich Melio in meine Gebete einschließen werde, genau wie dich, Schwester, und genau wie Dariel.« Corinn ließ Mena keine Zeit, sich eine Antwort auf diese Worte zu überlegen. Sie kam um den Tisch herum, doch anstatt zu Mena zu treten, machte sie ein paar Schritte zur Seite und blieb vor einem anderen Tisch stehen. »Ich möchte dir das hier geben. Des Königs Vertrauter. Das Schwert gehört jetzt dir. Niemand verdient es mehr als du.«
Des Königs Vertrauter? Sie wusste nicht so recht, ob sie die Waffe haben wollte. Sie war zu alt. An ihr klebte zu viel Geschichte; sie war in Blut gehärtet. Wenn die Legenden wahr waren, die sich um diese Klinge rankten, hatte Tinhadin persönlich sie mit Santoth-Magie getränkt und sie dadurch zu einer Waffe gemacht, die von jedem Kampf lernte, den sie focht, und etwas von jedem mitnahm, den sie tötete. Hatte Tinhadins Enkel sie nicht dazu verwendet, Gefangene hinzurichten? Etwas, das er persönlich hatte tun wollen, und nur mit diesem Schwert.
»Ich habe schon ein Schwert«, sagte Mena.
»Ich weiß, dein Marah-Schwert bedeutet dir viel«, gab Corinn zu. »Ich kenne die Geschichte gut, wie du mit dem Schwert an deinem Handgelenk aus dem Meer gekrochen und dann zu dieser Vogelgöttin geworden bist, zu Maeben. Und es stimmt, vielleicht ist das Schwert für dich ein Segen. Du hast auf jeden Fall viel damit erreicht. Aber das hier« – sie machte eine Bewegung, als wolle sie Menas Aufmerksamkeit auf das alte Schwert lenken, was nicht notwendig war, denn Menas Blick war bereits fest darauf gerichtet – »das ist die Klinge, die Edifus eigenhändig vor Carni geschwungen hat. Sie ist mit seinem Blut befleckt. Schau hier, am Heft. Dieser geschwärzte Bereich: Das ist das Blut von der Hand des Königs. Du kennst die Einzelheiten bestimmt besser als ich – wie er beinahe seine Hand verloren hätte, als er das Schwert eines Gegners damit gepackt hat.«
Menas Finger juckten. Ein echtes körperliches Jucken. Aus eigenem Antrieb wollten sie sich um das fleckige Heft legen und die Klinge aus der Scheide ziehen. Das war es, wonach ihr Körper sich sehnte. Sie hielt sich zurück, legte eine Hand an die Brust und tastete nach dem Aal-Anhänger unter dem Stoff ihres Hemds. Sie drückte ihn. In dem Schwert musste schreckliche Macht sein, denn es sah nach nichts Besonderem aus. Alt, mitgenommen, in einer schlichten Scheide mit ein paar Verzierungen, und dennoch wollte etwas in ihr die Klinge herausziehen.
Das letzte Mal hatte sie dieses Schwert in den Stunden nach Alivers Tod berührt. Nur so lange, um es in ein Stück Sackleinen zu wickeln und zu den anderen Besitztümern des Königs zu legen. Später hatte sie dann nur noch von dem Schwert gesprochen, um andere Soldaten anzuweisen, wie sie sich darum kümmern und es sicher nach Acacia zurückbringen sollten. Seit damals hatte sie nicht den Wunsch gehabt, es noch einmal in die Hand zu nehmen.
»Warum stehst du da und starrst es an?«, fragte Corinn. In ihrer Stimme schwang ein Hauch von Verdruss mit. »Es ist ein großartiges Geschenk. Es ist an mir, es zu verschenken, und ich biete es dir als Beweis dafür an, wie viel Vertrauen ich in dich setze. Du bist seiner würdig. Nimm es.«
Die letzten Worte waren ein Befehl, anders konnte man den Tonfall gar nicht verstehen. Allen Bedenken zum Trotz griff Mena nach der Scheide und hielt sie waagrecht vor sich.
»Nimmst du es an?«
»Ja«, sagte Mena, und dann fügte sie hinzu: »Fürs Erste. Ich werde es in meine Obhut nehmen und es benutzen, wenn ich muss. Aber eines Tages werde ich es dir zurückgeben, damit du es Aaden geben kannst. Es gehört von Rechts wegen ihm.«
Das schien Corinn zu gefallen. »Gut. Ja, das ist gut, in beiderlei Hinsicht.« Sie nickte.
Nach dieser Bestätigung legte Mena das Schwert wieder hin.
»Nun«, sagte Corinn mit härterer Stimme als zuvor, »es gibt einen Grund, warum ich dir das Schwert gebe. Du hast eine
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