Acacia 02 - Die fernen Lande
klaffenden Dinge, die es bedeuten mochte – schien zu groß für ihren kleinen Mund. »Was für Konsequenzen? So etwas wie die Übeldinge?«
Shen sah ein bisschen ungeduldig aus. Sie warf den Santoth einen raschen Blick zu, der von einer Handbewegung begleitet wurde, dann wandte sie sich wieder an Kelis. »Sie wollen, dass wir aufbrechen. Sie wissen, wie langsam wir sind. Ich kann dir jetzt nicht alles erzählen. Für manche Dinge habe ich keine Worte. Ja, die Übeldinge sind ein Teil davon. Die Santoth haben sie selbst gemacht, und es tut ihnen leid. Aber sie sagen, diese Bestien sind nichts im Vergleich zu dem Unheil, das Corinn entfesseln könnte. Jedes Mal, wenn sie etwas von der einen Stelle nimmt und es an eine andere Stelle tut, hinterlässt sie zwischen beidem eine Wunde. Andere des Liedes können diese Wunden benutzen, um die Welt der Lebenden zu betreten.«
»Andere des Liedes?«
»Kelis.« Shen legte ihm eine Hand auf die Schulter, wie es eine Mutter vielleicht mit ihrem Kind tun würde. »Die Santoth waren nicht die einzigen Zauberer, die einst gestürzt oder verbannt wurden. Es hat noch andere gegeben. Böse Zauberer, wie die Fünf Schüler von Reelos. Sie waren ein früher Fehler von Elenet. Es gibt Zauberer von anderen Welten, die der Schöpfer geschaffen hat. Ein paar davon können Corinns Singen ebenfalls hören, vor allem, wenn sie die Ohren an die Wunden legen. Ein paar haben schon angefangen, mit ihr zu sprechen, durch sie Kraft zu erlangen. Sie weiß es vielleicht gar nicht, aber die Santoth glauben, dass sie Türen geöffnet hat. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Wesen durch diese Türen in unsere Welt treten. Deshalb müssen wir nach Acacia, wir müssen mit meiner Tante sprechen, die Santoth das Buch studieren lassen und uns darauf vorbereiten, dem entgegenzutreten, was kommt.«
Shen atmete aus. »Ich glaube, das reicht für heute. Bist du bereit? Es ist ein langer Marsch.«
Kelis wusste nicht, was er sagen sollte. Vielleicht war es dann am besten, wenn er praktisch dachte. »Wir sollten deine Mutter und Naamen wecken.«
»Ihr wird das alles nicht gefallen«, sagte Shen mit schiefem Grinsen. Sie stand auf und sah zu ihrer Mutter hinüber, die eng in eine Decke gewickelt dalag. »Ich werde sie mit einem Kuss aufwecken. Das wird schön, oder?«
Er nickte und sah dem Mädchen nach, als sie von ihm fortging, und dabei wieder deutlich machte, dass sie noch ein Kind war, leichtfüßig und klein, so klein. Aber was stand ihr bevor?
Ein kleines Stück entfernt stand Leeka, unbeweglich, das Gesicht im Schatten der Kapuze verborgen. Doch sein Körper drehte sich, um das Kind im Blick zu behalten. Und noch ein Stückchen weiter entfernt waren die Zauberer. Regungslos und dennoch vor Bewegung brodelnd, beobachteten sie sie alle. Voller Ungeduld.
47
Als Mena aufwachte, fand sie die Nachricht neben ihrem Bett. Sie wusste sofort, was auf dem Blatt Papier stand, und dieses Wissen machte ihr das Herz schwer. Melio … Es bedeutete, dass er fort war, dass er sich vermutlich bereits an Bord eines der ersten Transportschiffe befand, die von Acacia zur Teh-Küste segelten. Was für ein grausamer Streich, denn er hatte sich durch nichts anmerken lassen, dass er sie auf diese Weise verlassen würde, als sie gestern Abend miteinander gesprochen oder als sie sich noch vor ein paar Stunden geliebt hatten. Er hatte kein Wort gesagt, als sie seinen Samen wieder aus sich herausgewaschen hatte. Oder vielleicht doch.
In der Nacht zuvor, als sie sich nackt und noch immer schwer atmend von der Erfüllung ihres Liebsakts an ihn geschmiegt hatte, hatte sie mit ihm gesprochen, als wäre es eine Nacht wie jede andere. Natürlich hatte sie die bizarren Umstände gestreift, von denen ihrer beider Leben beherrscht wurde, aber das waren Themen, die sie oft wälzten.
»All das, was wir tun«, hatte sie gesagt, »fühlt sich in so vieler Hinsicht unwirklich an. Ich lebe das alles, ja. Ich tue es. Ich töte Ungeheuer und reite auf einer geflügelten Echse, und ich führe Armeen in die Schlacht. Doch wenn ich das alles mit ein bisschen Abstand betrachte und mir vorstelle, wie andere diese Geschichte hören werden, dann ist es … merkwürdig. Genau das ist es, verstehst du? Eine Geschichte aus der fernen Vergangenheit. Wie Edifus und Tinhadin. Wie Hauchmeinish. Wie die Formen, bevor es die Formen gegeben hat. Wieso sollte es glaubhafter sein, dass ich Maeben getötet oder die Übeldinge erschlagen habe, als dass der
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