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Acacia 02 - Die fernen Lande

Acacia 02 - Die fernen Lande

Titel: Acacia 02 - Die fernen Lande Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Anthony Durham
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Devlyn könnte mein Kanzler sein. Er hat schon gesagt, er würde Kanzler sein, wenn ich ihn frage.«
    Während der Junge einen neuen Pfeil auf die Sehne legte, ließ Corinn zu, dass ihre Miene einen Augenblick lang ihr Missvergnügen verriet. Es war verschwunden, bevor er wieder aufblickte. »Ich werde mir diesen Devlyn ansehen müssen. Es wäre natürlich schön für dich, wenn du Kameraden hättest, aber die Wahrheit ist, du kannst dich nur auf dich selbst verlassen, auf niemanden sonst, wenn ich einmal nicht mehr bin. Niemand sonst – und ganz gewiss nicht Devlyn – wird die Bürde des Regierens so tragen müssen wie du. Verstehst du das?«
    »Es gibt doch noch Mena und Dariel«, wandte er ein und spannte den Bogen.
    »Ja, natürlich.«
    Aber vielleicht wirst du nicht immer auf sie setzen können, dachte sie. Sie könnten uns enttäuschen. Sie könnten sich uns eines Tages entgegenstellen. Es fühlte sich kalt an, so etwas zu denken, und anfangs dachte sie, sie würde es nicht erwähnen. Doch als sie sah, wie er vor lauter Konzentration die Stirn runzelte, als er schoss, und wie er mit seinen grauen Augen das Ergebnis musterte, empfand sie das Bedürfnis, ihn noch ein bisschen weiter zu treiben. Sein Pfeil war am Rand des mittleren Kreises eingeschlagen. »Das war ein guter Schuss. Lassen wir es für heute gut sein. Komm, setz dich zu mir.«
    Aaden gehorchte widerstrebend. Seite an Seite saßen die beiden auf einer Steinbank am Rande der Terrasse. Das Geländer war niedrig, gewährte freien Blick nach Westen, hinaus aufs Meer. Die näher gelegenen Gewässer waren mit felsigen Inseln gesprenkelt, die weiter und weiter zu versinken schienen, während das Meer seine Farbe von türkis zu einem immer dunkleren Blau veränderte. Aaden legte die Hände in den Schoß und ließ seine Knie sacht auf und ab wippen. Er wartete, und Corinn, die an das misstönende Geschnatter dachte, das so viele Kinder von sich gaben, war einmal mehr stolz auf den Sohn, den sie großzog. Eine Dienerin brachte ihnen zwei Gläser mit dem Beerensaft, den Aaden so gern trank, und zog sich dann wieder außer Hörweite zurück.
    »Ich weiß, dass du noch ein Junge bist«, setzte Corinnn an, »aber ich muss dich auf das vorbereiten, was die Zukunft für dich bereithält. Es ist besser, du weißt es jetzt, als dass du es später erfährst. Niemand, nicht einmal mein Bruder oder meine Schwester, ist für diese Nation so wichtig wie du. Du magst sie von ganzem Herzen lieben – genau wie ich –, aber sie haben beide Charakterfehler, von denen du dich niemals schwächen lassen darfst. Mena ist begabt und leidenschaftlich, aber sie hat Angst vor ihrer Natur. Ihr wahres Selbst ist so wild und zielstrebig wie ein Adler. Sie stürzt sich wie ein Blitz vom Himmel auf ihre Feinde, ja? Du hast die Geschichten gehört, die man sich über sie erzählt. Ihre Feinde können sie nicht berühren. Sie heftet sie auf die Erde und reißt ihnen das Herz heraus. Genau wie sie auch es tun sollte.« Sie trank einen Schluck Saft. Er war so sauer, dass sich ihre Lippen verzogen. »Wenn das Menas einzige Natur wäre, wäre sie eine noch bessere Waffe als sie es jetzt schon ist. Sie sollte ganz und gar ein Adler sein, aber in ihr ist auch eine Taube. Sie fängt an zu weinen, während ihr Schnabel das Fleisch ihrer Opfer zerfetzt – weil sie tut, was sie tut. Das ist ein Fehler. Ich würde niemals zulassen, dass du innerlich so zerrissen bist. Also sei es auch nicht.«
    Aaden hörte auf zu trinken und nickte auf seine knappe Art und Weise. Ein Mal. »Ich verstehe. Ich glaube aber, es würde mir nicht gefallen, wenn Mena nur ein Adler wäre. Adler haben so kalte Augen.«
    »Lieber die kalten Augen eines Adlers als die furchtsamen einer Taube. Ich habe keine Verwendung für Tauben.« Corinn sagte diese Worte schärfer aus, als sie es beabsichtigt hatte; sie hielt kurz inne und fragte sich, warum. »Was Dariel angeht … Ich weiß nicht, was mit ihm passiert ist. Es heißt, früher war er furchtlos, dass er ein Räuber war. Ich habe ihn damals nicht gekannt, aber es ist klar, dass er eine natürliche Begabung besitzt, Menschen anzuführen. Ich wünsche mir nur, er würde diese Begabung mehr nutzen. Er hat nicht mehr den Schneid für die harten Sachen. Er lächelt immer noch viel und ist unterhaltsam und kann Freude zeigen, aber er trägt eine Last mit sich herum. Anscheinend hat er das Gefühl, er müsste bei der Welt – und bei allen Menschen, die darauf leben –

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