Acacia 02 - Die fernen Lande
etwas wiedergutmachen. Seine Aufbau-Projekte … ich will gar nicht bestreiten, dass sie nützlich sind, aber er geht sie aus den falschen Gründen an.«
»Hast du ihn deswegen weggeschickt?«
»Ich habe ihn nicht ›weggeschickt‹. Ich habe ihm einen Auftrag gegeben. Wenn er ihn erledigt hat und zurückkommt, geht es ihm bestimmt besser. Du siehst, Aaden, ich versuche, den beiden zu helfen, stärker zu werden – und zwar auf eine Weise stärker zu werden, die wirklich wichtig ist, auf eine Weise, die sie schärft, die sie abhärtet.«
Wieder gefiel ihr der harte Unterton in ihrer Stimme nicht. Sie schreckte davor zurück, berührte Aadens immer noch auf und ab wippende Knie. Er fing an, unruhig zu werden. Sie würde ihn bald gehen lassen müssen, ihn gehen lassen, damit er eine Weile einfach nur ein kleiner Junge sein konnte, ohne Lektionen wie diese. Nicht zum ersten Mal wünschte sie sich, dass sie ihm all diese Dinge nicht sagen müsste. Dass sie ihn einfach nur den Jungen sein lassen könnte, der er sein wollte. Doch wenn sie das zuließ, würde sie genau denselben Fehler machen wie ihr Vater. Dariel war kaum älter gewesen als Aaden es jetzt war, als er allein in die Welt hinausgestoßen worden war, als ihm alles weggenommen worden war. Solche Dinge waren schon früher geschehen. Sie konnten wieder passieren. Sollte sich irgendwann in seinem Leben so etwas ereignen, würde Aaden ihr niemals vorwerfen können, dass sie ihn nicht darauf vorbereitet hätte.
»Aliver war auch nicht besser«, sagte sie. »Es ist wichtig, dass du das von mir erfährst, denn in den Geschichten, die man sich über ihn erzählt, kommt das nicht vor. Er mag schöne Träume gehabt haben, aber was sind schon Träume? Sie sind nichts, wenn man nicht das Rückgrat hat, sie wahr zu machen. Natürlich hat dein Onkel wunderbare Dinge getan, aber er ist ums Leben gekommen, bevor er sein Werk vollenden konnte. Nach seinem Tod wäre die Welt ins Chaos gestürzt, wenn ich nicht hier gewesen wäre, um die Dinge wieder in Ordnung zu bringen. Seine Schwäche war, dass er sich von Gefühlen hat leiten lassen, Aaden. Er hat Ideen an die Stelle von wohlerwogenen Gedanken treten lassen. Das haben die Akarans viel zu lange getan. Tinhadin hat seinen älteren Bruder getötet, um den Thron zu sichern, seinen jüngsten Bruder aber hat er aus Angst umgebracht. Sogar mein Vater hat nur halb so regiert, wie er es hätte tun sollen, geknebelt von einem Idealismus, der ihn träge gemacht hat. Aber so ist es nicht mehr. Ich bin nicht von diesem Schlag, und du wirst es auch nicht sein. Ich werde dich besser unterweisen. Also, was ich sagen wollte …« Sie hielt inne, bis er mit voller grauäugiger Aufmerksamkeit zu ihr aufblickte. »Liebe unsere Familie, ohne dich von ihr schwächen zu lassen. Ehre sie in der Öffentlichkeit als unfehlbar, während du dir ihre Fehler merkst. Verlange das Äußerste von deinen Freunden, ohne es zu erwarten. Erwarte von deinen Feinden das Schlimmste, damit sie dich nicht überraschen können – und verlass dich nur auf dich selbst.«
Lächelnd und mit sanfterer Stimme fügte sie hinzu: »Auf dich selbst und deine Mutter, hätte ich sagen sollen.« Sie zauste ihn ein wenig. »Na schön, Aaden, genug geredet! Ich kann sehen, dass du zappelig bist.«
»Darf ich zur Marah-Halle gehen und üben?«
»Ja, tu das. Und zeig mir später, was du gelernt hast.«
Aaden reichte sein Glas einer Dienerin, die es mit leichter Hand nahm, sich verbeugte und Seiner Hoheit dankte. Der Prinz murmelte der Dienerin seinerseits seinen Dank zu, dann trat er dicht an Corinn heran und flüsterte: »Mutter, benutzt du eigentlich jemals deinen Gesang, damit der Pfeil … trifft?«
Corinn legte ihm die Hand um den Kopf und zog ihn ganz dicht an sich heran. Ihre Lippen streiften sein Ohr, als sie antwortete: »Niemals.«
Eine Stunde später war die Königin wieder in ihrem Arbeitszimmer. Aufrecht und mit ausdruckslosem Gesicht saß sie da, als Rhrenna ihr Baddel vorstellte, den obersten Winzer von Prios, einen Mann mit schweren Hängebacken, der sich auf wenig schmeichelhafte Weise in einen Seidenanzug gequetscht hatte, welcher sich überall an den falschen Stellen ausbeulte. Paddel war zwar kahl, doch seine Kopfhaut war blauschwarz tätowiert. Die Tätowierung folgte dem natürlichen Haaransatz, doch der Effekt war auf beklemmende Weise sonderbar. Paddel selbst schien sehr zufrieden damit zu sein; er berührte in regelmäßigen Abständen seine
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