Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Acacia

Titel: Acacia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Anthony Durham
Vom Netzwerk:
der früher einmal zum Fundament der bescheidenen Behausung des ersten Königs gehört hatte. Sein jüngster Sohn Dariel saß auf seinem Schoß. Beide betrachteten einen kleinen Gegenstand in der Hand des Jungen. Als Thaddeus näher kam, blickte der König erfreut auf und sagte: »Thaddeus, schau dir das an. Wir haben ein Insekt mit getüpfelten Flügeln entdeckt.« Das sagte er staunend wie ein Kind, als sei dies die wichtigste Sache der Welt. Thaddeus mochte den König besonders am Tag, wenn die königlichen Augen noch nicht umwölkt waren vom Nebel, der sie allabendlich trübte. In diesen dunklen Zeiten konnte er bisweilen ein rechter Langeweiler sein, doch wenn er mit seinen Kindern zusammen war... Nun, in Gegenwart seiner Kinder war er ein Narr, der sich seiner Kindheit erinnerte. Ein kluger Narr, der die Welt immer noch staunenswert fand …
    »Kanzler?«
    Thaddeus schreckte zusammen. Ihm wurde bewusst, dass sie längere Zeit geschwiegen hatten. Die Botin war von ihrer Erschöpfung abgelenkt gewesen und er von irgendwelchen Träumereien. Er spürte die scharfe Spitze des Käsemessers, die gegen seinen Finger drückte. »Der König muss binnen Stundenfrist davon erfahren«, sagte er. »Du hast erwähnt, General Alain habe dich persönlich hierhergeschickt? Du hast nicht mit den Gouverneuren gesprochen?«
    »Die Nachricht, die ich überbringen soll, ist für König Leodan persönlich bestimmt«, erwiderte sie knapp.
    »So sollte es auch sein.« Thaddeus zupfte sich am Ohrläppchen. »Bleib einen Moment hier sitzen. Ich werde ein Treffen mit dem König arrangieren. Du hast uns einen großen Dienst erwiesen.«
    Der Kanzler erhob sich. Er hielt immer noch das Messer in der Hand, als hätte er vergessen, es wegzulegen. Als er hinter der Botin vorbeikam, schwenkte er herum. Er warf das Messer hoch, fing es am Griff wieder auf und schloss die Finger so fest darum, dass die Knöchel weiß hervortraten. Mit der einen Hand umfasste er die Stirn der Frau und schlitzte ihr mit der anderen von links nach rechts den Hals auf. Da er sich nicht sicher war, ob das Messer dafür taugen würde, wandte er mehr Kraft auf als nötig. Doch es war gelungen. Die Botin sackte lautlos nach vorn. Einen Moment lang verharrte er hinter ihr, das Messer zur Seite weggestreckt, Klinge und Faust mit zähem rotbraunem Blut benetzt. Mit willentlicher Anstrengung öffnete er die Hand. Die Waffe fiel zu Boden.
    Thaddeus war nicht ganz der loyale Diener des Königs, als der er sich gab, und zum ersten Mal in seinem Leben hatte er dies mit einer blutigen, unumkehrbaren Tat unter Beweis gestellt. Die unumstößliche Wahrheit dieser Erkenntnis machte ihn ganz benommen. Er hatte Mühe, das Gleichgewicht zu wahren und sich auf das Naheliegende zu konzentrieren. Er musste seine Bediensteten fortschicken, den Leichnam der Soldatin verschwinden lassen und das Blut beseitigen. Damit würde er den Rest der Nacht über beschäftigt sein, bräuchte aber nicht einmal seine Gemächer zu verlassen. Unmittelbar unter diesem Raum befand sich ein Verlies. Er musste die Frau lediglich die Wendeltreppe hinunterschleifen, sie hineinschieben, die Tür schließen und sie den Ratten, Insekten und Würmern überlassen, die ihre Gebeine ungestört blank nagen würden.
    Mit seinen moralischen Skrupeln würde er weniger leicht fertig werden.

4

    Wie alle Adelskinder war auch Aliver Akaran im Überfluss aufgewachsen. Wenn er morgens aufwachte, standen neben dem Bett schon die Hausschuhe und eine Schüssel mit blütenbestreutem Wasser bereit. Seit er feste Nahrung zu sich nahm, waren seine Speisen mit den besten Zutaten so zubereitet worden, dass sie die bestmögliche Wirkung auf den Gaumen entfalteten. Noch nie war er im Winter in einen unbeheizten Raum getreten, noch nie hatte er sich ein Bad eingelassen oder eigenhändig seine Kleider gewaschen. Er hatte sogar noch nie mit angesehen, wie das schmutzige Geschirr abgewaschen wurde. Hätte er über die Tätigkeiten des Säuberns, Flickens und Ersetzens Auskunft geben sollen, hätte er sich etwas ausdenken müssen. Er lebte inmitten einer gewaltigen Selbsttäuschung. Allerdings war es eine höchst angenehme Illusion zu glauben, alles um ihn herum existiere allein zu seinem Vergnügen. Dies alles jedoch hinderte ihn mit seinen sechzehn Jahren nicht daran, voller Missmut auf die Welt zu blicken.
    Als er sich, eine Woche nachdem er mit seinem Vater und seinen Geschwistern einen Ausflug ans Meer unternommen hatte, anschickte, seine

Weitere Kostenlose Bücher