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Acacia

Titel: Acacia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Anthony Durham
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Gemächer zu verlassen, nahm er seine ledernen Fechtschuhe in die Hand und warf sich die Übungsweste über die Schulter. Dann trat er zwischen den Wachen hindurch, die reglos wie Statuen neben der Tür standen, und schritt an einer Reihe von Figuren vorbei, die eine der Wände säumten. Die mannsgroßen Gestalten waren aus Kiefernholz geschnitzt und bis in kleinste Detail lebensecht. Das Holz war abgeschliffen und poliert, sodass man den Eindruck von natürlicher Haut hatte, die Fleisch und Knochen bedeckte. Die Figuren nahmen unterschiedliche Haltungen ein und trugen Uniformen verschiedener Nationen; da gab es zum Beispiel einen talayischen Boten mit einer der natürlichen Hautfarbe entsprechenden schwarz bemalten Holzoberfläche, der einen Eisenspeer in der Rechten hielt; einen senivalischen Infanteristen mit einem Schuppenpanzer und einem geschwungenen Langschwert am Gürtel; einen Berittenen der Mein mit dem typischen dicken Brustharnisch, bekleidet mit Fellen, die wie Lumpen an ihm herunterhingen; einen mit Adlerfedern geschmückten Vumu-Krieger; und Acacier mit verschiedenen adretten Uniformen, nur leicht bewaffnet und unter dem feinen Kettenpanzer mit weiten Hosen bekleidet.
    In Alivers Gemächern gab es mehr Kriegsgerät, als dem König lieb war. Er hatte einmal erklärt, Acacia herrsche seit Generationen über ein im Großen und Ganzen friedliches Reich. Was das betraf, war dem Prinzen der Tadel seines Vaters jedoch gleichgültig. Der tägliche Umgang mit seinen Altersgenossen war ihm wichtiger als die Beziehung zu seinem Vater. Leodan musste sich nicht mehr beweisen. Aliver hingegen standen die Mannbarkeitsprüfungen noch bevor. Er war der Ansicht, dass all der gehobene Zeitvertreib, dessen sein Vater sich erfreute, erst durch die Tapferkeit von Männern und Frauen möglich gemacht wurde, die bereit waren, Waffen zu tragen. Erst die von ihren Ahnen unter Beweis gestellte militärische Tüchtigkeit hatte sie in die Lage versetzt, die zerstrittenen, ungleichen Elemente der Bekannten Welt zu ihrer aller Nutzen zu partnerschaftlich verbundenen Nationen zu einen. Wie hätte man dies erreichen sollen, wenn nicht mit Gewalt? Und wie sollte man es bewahren, wenn nicht durch die Androhung von Gewalt?
    In seinen zornigen Momenten stellte Aliver sich vor, sein Vater stehe dem Pöbel früherer Zeiten gegenüber und versuche, ihm die Vorzüge des Friedens und der Freundschaft zu erklären. Damals hätten sie ihn mit ihrem Hohngelächter vom Lagerfeuer vertrieben. Sie hätten ihn mit Fußtritten in die Kälte gejagt, ihn angespuckt und einen Feigling geschimpft. Und dann hätten sie zähnefletschend die Schlacht begonnen, die über den Lauf der Welt entschieden hätte. Hin und wieder eilte Aliver in seinen Tagträumen seinem Vater mit gezücktem Schwert zu Hilfe; dann wieder schaute er tatenlos zu. Dabei war es nicht so, dass er seinen Vater nicht geliebt hätte. Er war ihm aufrichtig zugetan. Seine Gedanken waren ihm selbst zuwider, doch sie stellten sich ungebeten ein und ließen sich ebenso wenig unterdrücken wie die unerklärlichen fleischlichen Gelüste, die ihn seit einiger Zeit plagten. Worauf es ankam, war, dass die Akaran die gütigen Herrscher eines prachtvollen Reiches waren. Und das waren sie seit zweiundzwanzig Generationen und würden es, wenn Aliver dabei ein Wort mitzureden hatte, noch lange bleiben. Deshalb nahm er das Kriegshandwerk so ernst.
    Bis zur Marah-Übungshalle brauchte er nur wenige Minuten, und der größte Teil des Weges führte bergab. Aliver konnte den Großteil des Palasts, die tiefer gelegene Stadt, einen Teil der Insel und das dahinter ausgebreitete Meer überblicken. Aufgrund der perspektivischen Verzerrung waren die Größenverhältnisse schwer einzuschätzen. Die umliegenden Gebäude waren massige Bauwerke im acacischen Stil. Serpentinenstraßen schlängelten sich am steilen Hang entlang in die Tiefe. Die Gestalten auf der jenseits der Stadttore sichtbaren Biegung der Hauptstraße sahen aus wie dahinschleichende Stecknadelköpfe oder Zecken, die über einen Arm krabbelten. Die Türme der Unterstadt glichen senkrecht stehenden Nähnadeln und wirkten so winzig, als könnte man sie zwischen Daumen und Zeigefinger zerquetschen. Die Vorstellung fiel ihm schwer, dass dies alles aus der schmucklosen Festung hervorgegangen war, die Edifus in solcher Höhe erbaut hatte, damit der nervöse Monarch in seiner Angst, die frisch besiegten Untertanen könnten sich gegen ihn verbünden, das

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