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Acacia

Titel: Acacia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Anthony Durham
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umliegende Meer im Auge behalten konnte.
    Ein wenig erhitzt von seinem raschen Marsch betrat Aliver die große, von Säulen gestützte Halle. Sie wurde von an den Wänden hängenden oder auf Dreifüßen stehenden Öllampen und den Oberlichten erhellt, durch die schräge Lichtstrahlen auf den grau-weißen Steinboden fielen. Der Geruch des brennenden Öls war beinahe süßlich, stärker als der Rauchgeruch der Öfen, welche die Kälte fernhielten. Er begrüßte seine Lehrer und nickte den anderen Halbwüchsigen zu, die mit ihm eingetreten waren. Auch eine Handvoll Mädchen war erschienen. Sie erhielten die gleiche militärische Ausbildung wie ihre männlichen Altersgenossen. Fast ein Viertel der acacischen Streitkräfte stellten Frauen. An der Marah-Ausbildung jedoch nahmen nur die Kinder der Aristokratie teil, die eine Offizierslaufbahn einschlagen oder Regierungsbeamte werden würden. Viele von ihnen waren Cognaten, Angehörige einer privilegierten Gruppe, die ihre Abstammung auf Tinhadins Familie zurückführte.
    Der Prinz wusste, dass die Akaran-Herrscher der Vergangenheit enge Beziehungen zu ihren jungen Standesgenossen unterhalten hatten. Sein Großvater Grindulan war ständig in Gesellschaft von dreizehn männlichen Gefährten gewesen, hatte mit ihnen zusammen gespeist, geschlafen, geherrscht und geheiratet. Obwohl seine Altersgenossen ihm ehrerbietig begegneten, verspürte Aliver keine besondere Nähe zu ihnen. Er versuchte, diesen Mangel zu verdrängen und sich etwas auf seine geistige Unabhängigkeit und seine Stellung zugutezuhalten, doch er fürchtete, dass es sich um einen Charaktermangel handelte, den zu ändern außerhalb seiner Macht stand.
    Aliver lächelte, als er Melio Sharatt eintreten sah, einen jungen Mann, der genauso alt war wie er. Melio stammte aus einer Agnaten-Familie, die noch vornehmer war als die der Cognaten, da ihre Abstammung bis zu Edifus persönlich zurückreichte. Melio konnte der Prinz noch am ehesten als seinen Freund bezeichnen. Sie waren im Abstand von wenigen Wochen zur Welt gekommen, und von den ersten Unterrichtsstunden an hatte Aliver sich zu diesem Jungen mit den freundlichen, klugen Augen hingezogen gefühlt. Im Alter von zehn Jahren hatten sie sich einmal tagelang im Palastlabyrinth versteckt. Einer von ihnen hatte einen Geschichtenerzähler gespielt und der andere die Hauptfigur in einer kriegerischen, abenteuerlichen Geschichte, bei der es darum gegangen war, mythische Tiere zu töten und das Böse zu besiegen. In Melios Gegenwart fühlte Aliver sich unbefangener als bei anderen. Trotzdem gab er selbst Melio gegenüber seine Reserviertheit nicht auf. Eher war sie in dem Maße, wie ihre Körper und ihre Empfindungen sich wandelten, noch größer geworden. Und so machte das einst freundschaftlich gemeinte Lächeln einem schwer zu deutenden Ausdruck Platz.
    »Grüß dich, Prinz«, sagte Melio. »Ich hoffe, der Tag ist dir wohlgesonnen.«
    »Das ist er«, erwiderte Aliver und blickte an ihm vorbei, als hätte er an der anderen Seite der Halle etwas Interessantes entdeckt.
    Melio streifte sich lange schwarze Haarsträhnen aus der Stirn, folgte gutmütig Alivers Beispiel und musterte die anderen eintretenden Schüler. »Hast du schon die Fünfte Figur geübt? Ich habe gesehen, wie Biteran dich vergangene Woche darin unterwiesen hat. Wenn du sie beherrschst, kannst du anfangen, mit dem Speer zu üben.«
    »Ich werde es schon schaffen«, sagte Aliver. »Du solltest dir lieber um dich selbst Sorgen machen. Wenn du möchtest, helfe ich dir bei der Vierten Figur.«
    »Du?«, meinte Melio lachend. »Mein königlicher Lehrer?« Sein Gesicht wäre in einem Raum voller Menschen leicht zu übersehen, außer wenn er lächelte. Dann rückten alle seine Züge an ihren Platz, als wäre es zum Fröhlichsein bestimmt. Mit seinen weißen Zähnen und der braunen Haut strahlte er vor Gesundheit. Beiden jungen Männern war bewusst, dass sie, was das Kriegshandwerk betraf, nicht auf dem gleichen Stand waren. Aliver mochte zwar in einer höheren Marah-Figur unterrichtet werden als seine Altersgenossen - so verlangte es die Tradition -, doch Melio war für eine Eliteausbildung vorgeschlagen worden. Die Elite war etwas ganz anderes als die Marah. Diese Gruppe war noch kleiner, und wer dazuzählte, war allein aufgrund seiner Fähigkeiten ausgewählt worden, ohne Rücksicht auf Rang oder Stand.
    »Sieh mal, da kommt Hephron«, sagte Melio. »Er wird immer besser. Neulich hat er Schnitzers Vater

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