Acacia
unser Geheimnis. Das Geheimnis von Prinzessin Corinn und den Numrek. Sonst soll niemand davon erfahren - bis zu dem Tag, da wir es der Welt enthüllen werden.«
Corinn trat beiseite und ließ die stämmigen Krieger an sich vorbeimarschieren. Sie waren unglaublich groß und laut. Ihre Lederhosen knarzten beim Gehen. Ihre Waffen und bunt zusammengewürfelten Rüstungen klirrten und knirschten. Die meisten schwatzten in ihrer misstönenden Sprache, einige grinsten sie hinter ihren drahtigen Haarschöpfen hervor an. Manche lachten sogar über irgendwelche Scherze, als träten sie lediglich zu einer Militärübung an. Die Zahl zweihundert hatte sich aus Rialus’ Mund klein angehört, doch die Reihe der Krieger schien kein Ende zu nehmen.
Und dann waren sie verschwunden. Es herrschte wieder Stille, wie eine lebende Präsenz, die den Raum einnahm, als sei sie ob der früheren Störung verstimmt. Rialus, der an den Kämpfen nicht teilnehmen würde, stand in ihrer Nähe, trat unruhig von einem Fuß auf den anderen und räusperte sich häufig, als wolle er etwas sagen. Corinn beachtete ihn nicht. Plötzlich packten sie abermals Zweifel. Sie schlangen sich um ihr Herz, nahmen ihr die Luft und ließen es in ihrem Innern rumoren. Die Unwahrscheinlichkeit dessen, was hier geschah, und die Tatsache, dass sie, Corinn, es in die Wege geleitet hatte: Es war fast zu viel, um es zu erfassen. Ihr war, als senke sich die Decke auf sie herab. Ständig wanderte ihr Blick prüfend nach oben. Jetzt erst bemerkte sie die bizarren Figuren an den Wänden, halb Mensch, halb Tier. Hatte ihr Volk früher einmal so ausgesehen? Waren das ihre Ahnen?
Rialus unterbrach ihre Gedanken. »Dürfte ich fragen, Prinzessin, wie Ihr von den Geheimgängen erfahren habt?«
»Von Thaddeus Clegg«, hörte sie sich antworten.
»Von Clegg?«, sagte Rialus alarmiert. »Ist das wahr? Von dem alten Verräter? Ist er hier, im Palast? Dem ist nicht zu trauen, wisst Ihr? Was hat er -«
»Er ist tot, Rialus. Er ist keine Bedrohung mehr für Euch« Er ist nicht mehr da, dachte Corinn, doch sein Geschenk hat Bestand. Eines Tages, wenn sie gelernt hätte, es zu nutzen, würde sie viel ausrichten. Gutes tun. Dann bräuchte sie nicht mehr zu töten. Sie wäre nicht mehr auf Verbündete angewiesen. Wie -
»Nun, dürfte ich fragen, was Ihr als Nächstes vorhabt? Ihr arbeitet nicht gerade auf das gleiche Ziel hin wie Euer Bruder. Er ist jetzt tot, es tut mir leid, das zu sagen, aber Mena und Dariel leben noch. Was geschieht, wenn -«
Corinn wandte sich dem Botschafter zu und trat so dicht vor ihn hin, dass er unwillkürlich einen Schritt zurückwich. Etwas daran, ihren Zorn gegen ihn zu richten, half ihr, sich wieder in die Gewalt zu bekommen. »Nein, Rialus, Ihr dürft mich überhaupt nichts fragen. Wenn wir uns unterhalten, dann nur dann, wenn ich Euch etwas frage. Mehr ist nicht zwischen uns, habt Ihr mich verstanden? Ich brauche Euch, aber ich mache mir keine Illusionen über das Wesen Eurer Loyalität. Mit Euch ist es dasselbe wie mit den Numrek. Ihr steht aus einem einzigen
Grund auf meiner Seite - weil ich allein Eure Wünsche erfüllen kann. Die Mein würden Euch bei lebendigem Leib die Haut abziehen. Meine Geschwister würden Euch als Verräter einsperren lassen. Ich allein eröffne Euch den Weg zum Glück. Zweifelt Ihr daran?«
Rialus zweifelte nicht.
»Gut. Mit meinen Geschwistern werde ich mich später befassen. Natürlich liebe ich sie. Sie lieben mich. Euch geht das nichts an.«
Sie verstummte und bedeutete Rialus, ebenfalls still zu sein. Schwache Schreckensschreie und das Klirren von Waffen waren zu vernehmen. Die Geräusche klangen gedämpft und durch die Entfernung verzerrt, fast geisterhaft. Die Art von Geräuschen, die sie vielleicht gar nicht vernommen hätte, wenn sie nicht gelauscht hätte. Sie hatte genug über die Kampfweise der Numrek gehört, um sich vorstellen zu können, welche Szenen sich im Palast abspielten. In diesem Moment, stellte sie sich vor, stürmten die Numrek durch die Gänge. Ohne Vorwarnung waren sie mitten im Palast aufgetaucht und hatte heillose Verwirrung ausgelöst. Sie stürmten von Raum zu Raum, schwangen ihre Streitäxte, schlugen Arme ab und spalteten Schädel, spießten Menschen mit Speeren an die Wände, schlitzten mit Schwertern Bäuche auf und gewährten niemandem Gnade.
Sie drückte die Hand an ihren Bauch, als sie flüchtig die Menschen vor sich sah, die sie zum Tode verurteilt hatte. Männer wie Haleeven,
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