Accelerando
haben manche
ihrer externen Agenten bereits damit begonnen, um Hilfe zu
schreien. Derweil haben ihre M-Commerce-Tracker, unterstützt
von Click-Thru-Trails und einem entgegenkommenden Manager von
Software-Lizenzen, schon herausgefunden, auf welche Polizeiwache
Amber gebracht wird. Sie schicken Agenten los, um die Teilhaber
des Franklin-Trusts, Amnesty International, die
Space-and-Freedom-Partei und die Rechtsanwälte von Ambers
Vater zu benachrichtigen. Während eine Polizistin mittleren
Alters Amber in ein kirschrot-türkises Verhörzimmer
für jugendliche Straftäter einbuchtet, laufen am
Empfangstresen bereits die Telefone heiß. Es folgen Anfragen
von Rechtsanwälten, Fast-Food-Verkäufern und auch die
eines besonders schnell arbeitenden Promi-Magazins, das in seiner
Recherche auf die Verbindungen von Ambers Vater gestoßen
ist. »Können Sie mir dabei helfen, meine Katze
wiederzubekommen?«, fragt Amber die Polizistin mit
ernsthafter Miene.
»Name«, liest die Beamtin ab, während ihre Augen
wegen der Simultanübersetzung zucken. »Ihre
Identität bitte steif protzen, äh, formell
angeben.«
»Man hat mir meine Katze gestohlen«, wiederholt Amber
nachdrücklich.
»Ihre Katze?« Erst wirkt die Polizistin verwirrt,
dann genervt. Es gehört nicht zu ihrem Repertoire, sich mit
ausländischen Teenagern zu befassen, die Fragen mit
Geschnatter beantworten. »Wir fragen nach Ihrem
Namen.«
»Nein«, entgegnet Amber, »hier geht es um meine
Katze. Man hat sie mir gestohlen. Meine Katze ist mir gestohlen worden.«
»Aha! Ihre Papiere, bitte?«
»Papiere?« Ambers Sorge wächst. Sie hat keine
Verbindung zur Außenwelt. Der Verhörraum ist von einem
Faradaykäfig umgeben. Hier drinnen ist es so still, dass man
Platzangst bekommen kann. »Ich will meine Katze zurück!
Sofort!«
Die Polizistin schnippt mit den Fingern, greift in die eigene
Tasche und zückt einen Personalausweis, auf den sie
nachdrücklich deutet. »Papiere«, wiederholt sie.
»Andernfalls…«
»Ich weiß gar nicht, wovon Sie reden!«,
quengelt Amber.
Die Polizistin bedenkt sie mit einem seltsamen Blick.
»Warten!« Sie steht auf, verlässt den Raum und
kehrt eine Minute später mit einem schmalgesichtigen Mann
zurück. Er trägt einen Geschäftsanzug und eine
Brille mit Drahtbügeln, die schwach leuchtet.
»Sie machen hier eine Szene?!«, stellt er rüde
und unvermittelt fest. »Wie ist Ihr Name? Sagen Sie mir Ihren
richtigen Namen, sonst werden Sie die Nacht hier
verbringen.«
Amber bricht in Tränen aus. »Man hat mir meine Katze gestohlen«, sagt sie mit erstickter Stimme.
Offenbar wissen der Ermittler und die Polizeibeamtin nicht, wie
sie mit dieser Situation umgehen sollen. Angesichts des
emotionalen Chaos, das dabei mitschwingt, und der finsteren
diplomatischen Verwicklungen rasten sie aus. »Sie warten
hier«, erklären sie, ziehen sich aus der Zelle
zurück und lassen Amber in Gesellschaft eines animierten
Koalabärs aus Plastik und einer billigen libanesischen
Kaffeemaschine zurück.
Als Amber sich schließlich vergegenwärtigt, was ihr
Verlust - Ainekos Entführung – mit sich bringt, beginnt
sie laut und verzweifelt zu weinen. In jedem Alter ist es
schwierig, Verlust und Verrat zu verkraften, und die Katze ist
seit einem Jahr Ambers neunmalkluge, witzige Gefährtin und
ihr Trost, der Fels in der Brandung, der ihr die Sicherheit und
Stärke verliehen hat, sich aus den Klauen ihrer
verrückten Mutter zu lösen. Es ist einfach zu
entsetzlich, sich vorzustellen, dass sie ihre Katze an einen Body
Shop in Hongkong verloren hat. Dort wird man Aineko vermutlich
aufschneiden, um ihre Schaltkreise später als Ersatzteile zu
verkaufen. Oder aber man zerquetscht sie zu Brei. Voller
Verzweiflung und hoffnungsloser Seelenqual heult Amber die
Wände des Verhörraums an, während da draußen
Agenten ihres Bewusstseins, die hier nicht weiterkommen, nach
Backups suchen, mit denen sie sich synchronisieren
können.
Doch nach einer Stunde, Amber hat sich gerade so weit beruhigt,
dass sie in einem Sumpf nackter Verzweiflung versunken ist, klopft
es – klopft es! – an die Tür, und jemand
streckt mit forschendem Blick den Kopf herein. »Bitte mit uns
kommen?« Es ist die Polizistin mit dem miserablen
Übersetzungsprogramm. Als sie Ambers Schluchzen bemerkt,
stöhnt sie lautlos auf, doch als Amber aufsteht und auf die
Tür zuschlurft, macht sie Platz.
Am Empfangstresen dieser Farm
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