Accelerando
eine unzulässige Semiotik auf komplexe Strukturen
an, die dazu da sind, den Handel in Gang zu halten. Du kennst dieses
Alien, Amber. Wir verlangen eine Lösung. Wenn du das Monster
erledigst, werden wir dir ein Guthaben einräumen. Dann
erhältst du wieder die Kontrolle über deine eigene
Realität, Einsicht in Handelsvereinbarungen, verstärkte
Sinnesorgane, die Möglichkeit zu reisen. Ich kann dir sogar ein
solches Upgrade verpassen, dass zwischen dir und uns ein Konsens
hergestellt wird, falls du das möchtest.«
»Dieses Monster.« Amber beugt sich vor und starrt
wissbegierig aus dem Fenster. Sie ist halbwegs dazu entschlossen,
das, was sie für ein dubioses Angebot hält, zu ignorieren,
denn ist klingt nicht allzu verlockend. Mir ein Upgrade verpassen,
das mich zum geistigen Teilhaber eines kollektiven Verstandes von
Aliens macht?! »Was ist das für ein Alien?«
Angesichts der Tatsache, dass sie keine persönlichen Agenten
mehr losschicken kann, um komplexe Schlussfolgerungen zu ziehen,
fühlt sie sich unsicher und wie blind. »Gehört es zu
den Wunch?«
»Herkunft unbekannt. Es/sie sind mit dir gekommen«,
erwidert das Gespenst. »Wurde aus Versehen vor einigen
zukünftigen Sekunden reaktiviert. Läuft in der
demilitarisierten Zone Amok. Hilf uns, Amber. Rette unseren inneren
Kern, sonst sind wir bald vom Netzwerk abgeschnitten. Und wenn das
geschieht, wirst du mit uns/unserer Gemeinschaft sterben. Rette
uns…«
Eine einzelne Erinnerung, die jemand anderem gehört,
spult schneller ab, als eine Fernrakete durch die Luft
schießen kann – und sie ist auch weitaus
tödlicher.
Im Alter von elf Jahren ist Amber ein leicht
hinterwäldlerisches Kind mit langen Gliedern, das auf den
Straßen von Hongkong umherstreift, eine Touristin vom Lande,
die sich das brodelnde Zentrum des Königreichs der Mitte
anschaut. Es ist ihr erster und letzter Urlaub, bevor der
Franklin-Trust sie im Frachtraum einer Raumfähre aus Shenzhou
verstaut und von Xinkiang aus in die Umlaufbahn starten
lässt. Vorübergehend ist sie frei und ungebunden, wenn
auch verpfändet und abhängig von mehreren Millionen
Euros, nach deren Pfeife sie tanzen muss. Sie ist ein
zukünftiger kleiner Taikonaut, bereit, die langen Jahre in
Jupiters Umlaufbahn abzudienen, die es dauern wird, ihrem
Eigentümer – dem sich selbst steuernden, vorwärts
treibenden Netzwerk von Optionen – die Schulden zu erstatten.
Doch das Sklaverei zu nennen, wäre zu viel gesagt: Dank Dads
Spielchen mit den ineinander verschachtelten Gesellschaften muss
sie keine Angst haben, dass Mom sie verfolgt, um sie wieder in den
posthumanen Kerker zu verfrachten – den Kerker, in dem sie
wie ein kleines Mädchen aus alten Zeiten aufwachsen soll. Und
jetzt hat sie ein bisschen Taschengeld, ein Zimmer im Hilton und
ihren ganz persönlichen Geist mit Fernsteuerung à la
Franklin, der ihr Gesellschaft leistet. Deshalb hat sie
beschlossen, die Touristenkacke des aufgeklärten achtzehnten
Jahrhunderts mitzumachen, und zwar mit allem Drum und Dran.
Schließlich ist das hier der letzte Tag, der ihr in der
zufällig entstandenen Biosphäre zur freien
Verfügung steht.
China ist der Ort, an dem es in dieser Dekade abgeht, ein Ort
mit brodelnder, dichter Atmosphäre, der diejenigen, die nicht
mitziehen, drakonisch bestraft. An die Stelle des
nationalistischen Eifers, den Westen einzuholen, ist der Eifer der
Verbraucher getreten, den letzten modischen Schnickschnack zu
besitzen: die kitschigsten Souvenirs von den seltsam altmodischen
Straßen Amerikas, die schnellsten, heißesten,
schlauesten Upgrades für Körper und Seele. Hongkong ist
vermutlich die aufregendste und schnellste Stadt in ganz China,
wenn nicht sogar in der ganzen verdammten Welt.
Eingeschüchtert und schockiert von der Zukunft und vom Glanz
dieses Hightech-Lebensstils, bleiben die Touristen aus Tokio hier
stehen, um zu glotzen.
Als sie Jardine’s Bazaar entlangspaziert – Jardine’s Bizarr wäre treffender, denkt sie
–, ist Amber einem Ansturm schwülen Lärms
ausgesetzt. Geodätische Kuppeln sprießen wie
skelettartige Pilze aus den verglasten und verchromten
Dächern der teuren Shopping Mails und luxuriösen Hotels
und drohen, auf der warmen Meeresbrise davonzutreiben.
Mittlerweile gibt es keine Flugzeuge mehr, die dröhnend Kai
Tak ansteuern oder von dort starten, keine Wolken aus blankem
Aluminium, die über die staunenden Passanten in den Shopping
Mails und
Weitere Kostenlose Bücher